Einleitung

In der vorliegenden Arbeit habe ich mich ausführlich mit den Thesen der liberalen Theologie beschäftigt. Mein Ziel war es nicht so sehr, eine differenzierte theologiegeschichtliche Darstellung der verschiedenen Phasen der neueren Theologie und deren geistesgeschichtlichen oder philosophischen Einflüsse zu liefern, auch wenn ich dieser Absicht bei der Lektüre fremder Autoren in vielfacher Weise begegnet bin. Vielmehr ging es mir darum, die grundlegenden weltanschaulichen Denkvoraussetzungen der modernen Theologie und deren geistesgeschichtlichen Wurzeln herauszuarbeiten und sie anhand des uns vorliegenden biblischen Zeugnisses zu prüfen.  Entsprechend werde ich auch in meiner Begrifflichkeit nicht unterscheiden zwischen liberaler Theologie, Historisch-kritischer Theologie, Moderner Theologie, Bibelkritik, Historischer Kritik, obwohl mir bewusst ist, dass die Theologie sehr wohl hier einer Entwicklung unterworfen war und sich bis heute ständig verändert. Trotz aller Veränderung im Kleinen, die die liberale Theologie im Laufe der letzten 3 Jahrhunderte vollzogen hat, wird man bei genauem Studium eine Grundlinie erkennen können, die beibehalten wurde und bis heute gilt, auch wenn mancher Theologe dies vielleicht bestreiten möchte. Diese Grundlinie möchte ich in meiner Arbeit herausarbeiten. Besonders wichtig war mir dabei der Aspekt: Wie steht die Bibel selbst zu den verschiedenen Thesen der liberalen Theologie. Wenn man selbst nicht gleich am Anfang eine dieser Grundthesen der liberalen Theologie übernehmen will und behaupten will, dass die Bibel ein ganz normales Stück Literatur ist, dann müsste es berechtigt sein zu fragen, was die Bibel selbst zu ihrer Verteidigung beitragen kann. Hat die Bibel überhaupt was dazu zu sagen? Bemerkenswerterweise finden wir sehr viele aufschlussreiche Aussagen zu bibelkritischen Themen in der Bibel, sodass man hier sogar von einem frappierenden Anachronismus sprechen könnte. Dies war für mich selbst hochspannend. An vielen Stellen gleicht meine Arbeit deshalb eher einer Bibelarbeit als einer geschichtlichen Analyse, was meine Bibelkenntnis erheblich erweitert hat.

Manch einer wird sich fragen, wie ein Mediziner dazu kommt, sich mit einem derartigen Thema auseinanderzusetzen. Nun, ich habe mich seit meiner Schulzeit (ca. 10 verschiedene überwiegend liberale Religionslehrer, Religion: 3. Prüfungsfach im Abitur, Besuch eines evangelisch kirchlichen Aufbaugymnasiums) mit theologischen Themen befasst. Die Frage, inwieweit die Bibel vertrauenswürdig ist oder nicht, hat mich, seit ich mich mit 12 Jahren bewusst für Jesus entscheiden habe, immer begleitet. Wer mit vielen Schulfreunden über Glaubensfragen diskutiert hat und auch mit Kindern, in der Ehe, in der Gemeinde und mit Freunden immer wieder über geistliche Themen spricht, der kommt an den Thesen der liberalen Theologie nicht vorbei. Und zwar nicht nur, wenn man sich bewusst dafür interessiert oder weil die eigenen Kinder aus dem Religionsunterricht plötzlich die Thesen mitbringen, sondern, weil uns viele Fragen des Lebens und des Alltags sowie unseres Glaubens- ob bewusst oder unbewusst- zwangsläufig damit konfrontieren. Wie soll ich mich beispielsweise dem Thema Homosexualität positionieren? Was sagt die Bibel dazu? Diese Frage hängt ganz klar von unserem Bibelverständnis ab. Sehen wir die Bibel als Gottes Wort, das in diesem Fall auch heute noch gilt, oder sehen wir die biblischen Aussagen als zeitgebunden und deshalb nicht mehr verbindlich für uns heute an? Es gibt andere wichtigere Themen, beispielsweise, welche Bedeutung hat der Kreuzestod Jesu? Die Antwort auf diese Frage wird mit unserer Meinung zum Bibelverständnis zusammenhängen. Viele Thesen der liberalen Theologie kannte ich seit vielen Jahren, konnte aber für mich selbst und anderen gegenüber nie sagen, inwieweit man vom wissenschaftlichen Standpunkt aus diese Thesen übernehmen muss oder nicht. Das war für mich ein Anlass, den Fragen auf den Grund zu gehen. Wichtig war mir dabei, wissenschaftlich sachlich zu bleiben und nicht mich vorschnell auf das naive Argument einzulassen, ich glaube einfach, weil es in der Bibel steht. Von meinem Beruf als Arzt bin ich nun mal sehr wissenschaftlich geprägt. Im Laufe der Zeit deshalb zu merken, dass es nicht nur die Theologen und Wissenschaftler gab, die die Thesen der HKT teilen, sondern auch die, die mit guten wissenschaftlichen Argumenten die Thesen der HKT in Frage stellen, hat mir dabei sehr geholfen. In besonderer Weise möchte ich hier Dr. Markus Till, Prof. Gerhard Maier, Prof. Armin Baum und die Arbeit von Wort und Wissen hervorheben, aus deren Informationsquellen ich sehr viel geschöpft habe.  Hieraus lässt sich auch mein Standpunkt ableiten, dass Wissenschaft nicht zwangsläufig bedeuten muss, die Bibel in Frage zu stellen. Im Gegenteil, sie kann uns sogar helfen, die Bibel zu bestätigen und die Thesen der liberalen Theologie deutlich anzuzweifeln. Die liberale Theologie fungiert hier sogar als Abstoßungspunkt, an dem wir dann auf der anderen Seite die bibeltreue Haltung festigen können. Ich bin deshalb nicht undankbar für die vielen liberalen Einflüsse in meinem Lebenslauf. Sie haben sicher dazu beigetragen, dass mein Glaube am Ende gestärkt wurde. Am Negativbeispiel lernen wir am besten. Das ist auch der einfache aber gewinnbringende Grund, warum ich die liberalen Textkommentare in meiner Stuttgarter Erklärungsbibel von der Deutschen Bibelgesellschaft noch nicht aus meiner täglichen Lektüre gestrichen habe.

Der interessierte Leser kann sich die Kapitel zum Lesen so raussuchen, wie er will.  Geordnet sind sie auf meiner Website ungefähr so, wie ich sie in ihrer Reihenfolge geschrieben habe. Die einzelnen Kapitel bauen nicht komplett aufeinander auf. Trotzdem wird man manche Aussage von mir nur dann richtig verstehen, wenn man bestimmte vorausgehende Kapitel gelesen hat. Jemand, der völlig unbedarft an die Texte herangeht, wird möglicherweise etwas vor den Kopf gestoßen sein. Nur wenn man die vielen Aussagen und Kritikpunkte der liberalen Theologie in ihrer groben Gesamtheit kennt, bekommt man ein tatsächliches Gefühl für das ganze Ausmaß der Wirkung auf unser Denken. Andernfalls wird ein wohlwollender Christ immer geneigt sein, Einzelthesen der liberalen Theologie zu verharmlosen und im Sinne der kirchlichen Einheit als Randthese stehen zu lassen. Dass es hier aber um nichts weniger geht als um ein grundlegendes Bibelverständnis, das jeden Bereich der Hermeneutik und der biblischen Texte umfasst, sollte beim Lesen aller Kapitel deutlich werden.  Daraus ergibt sich auch die Wichtigkeit dieses Themas. Von der Beantwortung der Fragen zu diesem Thema hängt letztlich die Zukunft unserer Kirchen und Gemeinden ab. Wir tun also gut daran, uns mit diesem Thema zu beschäftigen, um nicht im Strudel des zunehmenden Einflusses der liberalen Theologie auf unser Denken unterzugehen. Schon heute erleben wir, wie viele Christen auf der westlichen Nordhalbkugel sich vom Glauben abwenden, kaum noch in der Bibel lesen oder sich einem völlig liberalen Bibelverständnis öffnen. In den Ländern, in denen Christen verfolgt werden, gibt man fast alles, um an eine Bibel zu gelangen. Wir leben in einem Land, in dem die Bibel fast in jedem Haushalt im Regal verstaubt. Also holen wir sie raus und nutzen sie, um die Wahrheit über die Welt, das Leben und den Tod zu erfahren. Sie allein kann uns den Weg zu Jesus und zum ewigen Leben zeigen. Die liberale Theologie trägt einen erheblichen Anteil daran, dass uns dieser Weg zunehmend verbaut oder verunklart wird. Wir sind es uns nicht nur untereinander schuldig, hier für mehr Klarheit zu sorgen, sondern allen Menschen gegenüber, die von der Wolke der liberalen Theologie überdeckt zu werden drohen.

Jeder, der durch die liberale Theologie verunsichert ist, wird hier sehr viel Material finden, um seinen Standpunkt zu festigen oder neue Orientierung zu bekommen im Dschungel der theologischen Vielfalt. Manche Freunde waren der Meinung, ich solle ein Buch schreiben. Dies habe ich mir allerdings mit gutem Recht bisher verkniffen. Zum einen genügt diese Arbeit keinen wissenschaftlichen Ansprüchen (keine ausreichenden und exakten Literaturangaben) Zum andern gibt es zu allen Kapiteln schon reichhaltige und gute Literatur. Das ist der Grund, warum der Leser in meinem Skript sehr viele Zitate von anderen Autoren finden wird. Trotzdem wird man kaum eine andere Arbeit finden, in der dieses Thema so umfassend und auch für den theologischen Laien gut verständlich aufgearbeitet ist. Mir ist bewusst, dass eine solche Arbeit viel Kritik hervorrufen wird- teilweise hat dieser Prozess schon begonnen- und ich freue mich über jede sachliche Kritik, weil sie unser Denken schult und bei einer gewissen Offenheit in eine positive Richtung lenken kann. Am meisten würde ich mich jedoch freuen, wenn meine Texte möglichst vielen Christen oder auch Nichtchristen Orientierung geben in unserer postmodernen Welt, in der es keine absolute Wahrheit mehr geben darf. Schließen möchte ich diese Einleitung mit den Worten von Paulus in 1.Kor. 15: „Ist Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt umsonst, so ist auch euer Glaube vergeblich… Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.“