Inspiration der Bibel

Was bis vor wenigen Jahrhunderten noch selbstverständlich war, nämlich dass die Bibel als das fehlerlose Wort Gottes angesehen wurde, ist heute mehr umstritten denn je. Der zentrale Begriff ist hier der Begriff der Inspiration. Inspiration bedeutet: Gott hat seine Worte den Schreibern der Bibel eingegeben (  inspirare=einhauchen). Von einem solchen klassischen Verständnis kann heute keine Rede mehr sein. In den Augen der historischen Kritik redet also beim Lesen der Texte nicht mehr in erster Linie Gott zu uns, sondern der Autor, der die Texte geschrieben hat. Zur Begründung werden hauptsächlich zwei Argumentationsstränge herangezogen 1.) Eine Inspiration im Sinne einer übernatürlichen Eingebung sei aufgrund weltanschaulicher Prämissen (s.o.) nicht denkbar. Inspiration müsse heute als innerweltlicher Erkenntnisprozess verstanden werden. 2.) Die Bibel enthalte zahlreiche Widersprüche und naturwissenschaftliche Irrtümer (s.o.) die sich mit Gottes Unfehlbarkeit nicht vereinbaren ließen. Das Inspirationsverständnis hängt sehr eng mit der Einstellung zur Frage nach der Fehlerhaftigkeit zusammen. Beide Argumentationsstränge bedingen und ergänzen sich natürlich gegenseitig, sodass hier ein sich selbst stabilisierendes System entsteht. Die Bibel an sich kann nicht inspiriert sein, weil sie zahlreiche Fehler enthält und weil sie von fehlerhaften Menschen geschrieben wurde, muss sie Fehler enthalten. Ich gehe also schon mit der Erwartung an die Bibel heran, dass sie Fehler enthält. Beide genannten Argumentationsstränge haben sich in vorhergehenden Kapiteln als leichtfertiges Vorurteil erwiesen. Dass jedoch die göttliche Inspiration eine Irrtumslosigkeit im Blick auf ihre Aussageabsicht voraussetzt, ist unstrittig.     In diesem Kapitel will ich nun der Frage nachgehen, inwieweit die Bibel selbst ein Inspirationsverständnis voraussetzt? Dahinter steckt der Kritische Vorwurf, der evangelikale Theologe stülpe der Bibel eine Inspirationslehre über, die sie gar nicht enthält. Das Verständnis der Inspiration ist seit der Reformation sehr stark hin- und hergeworfen und immer wieder kritisiert worden, was sich in den zahlreichen Begriffsbildungen widerspiegelt, die man im Laufe der Kirchengschichte bis heute verwendet hat, um damit ein bestimmtes Inspirationsverständnis zum Ausdruck zu bringen: Verbalinspiration, Realinspiration, Diktattheorie, ekstatische Offenbarung Ganzinspiration, Personalinspiration, Teilinspiration. Was sich hinter diesen Begriffen im Einzelnen verbirgt, möchte ich hier nicht weiter ausführen. Um nicht für Verwirrung zu sorgen, gehe ich im Folgenden von einer Ganzinspiration aus. Um von vornherein einem Missverständnis vorzubeugen: Das bedeutet natürlich nicht, dass die Autoren eine einheitliche göttliche Sprache verwendet hätten. Eine Ganzinspiration stellt keinen Widerspruch zu der Tatsache dar, dass die Autoren der Bibel in ihrem eigenen Sprachstil, in ihrem kulturell-politischen Kontext sowie unter Beibehaltung ihres eigenen freien Willens und der eigenen Auswahl des Stoffes die Texte verfasst haben, was bei der Interpretation berücksichtigt werden sollte. Auch diese Seite der Inspiration wird von der Heiligen Schrift aufgenommen: „…Menschen haben geredet“ (2.Petr.1,21). Eine Diktattheorie oder eine ekstatische Offenbarung, bei der die Persönlichkeit des Schreibers völlig ausgeschaltet war, verbietet sich für mich genauso wie ein innerweltliches Inspirationsverständnis, bei dem eine übernatürliche Leitung durch den heiligen Geist von vornherein ausgeschlossen wird. Wie sieht nun die Antwort der Offenbarung selbst auf die oben gestellte Frage aus?

Die Frage, ob die Schriften des Alten Bundes inspiriert sind, ist leichter zu beantworten als die Frage nach der göttlichen Eingebung des NT. In 2.Tim 3,16 u.17 steht:  Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.Hierzu schreibt G. Maier: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben“ ist die korrektere gegenüber der restriktiven Übersetzung: „Alle Schrift, soweit sie von Gott eingegeben ist, …“ „Schrift“ meint hier das, was wir das AT nennen. Sie hat die Qualität einer Heiligen Schrift. Berücksichtigt man den inhaltlichen und zeitlichen Kontext und den Adressaten dieser Worte, dann wird einem das Gewicht dessen, was Paulus hier sagt, noch mehr bewusst. Es ist mit großer Sicherheit einer seiner letzten Briefe, die Paulus sehr wahrscheinlich aus der Gefangenschaft in Rom geschrieben hat. Wir dürfen annehmen, dass Paulus hier in der Vorahnung seines baldigen Todes sich nicht mehr an Nebensächlichkeiten aufgehalten hat. Das, was er hier seinem geistlichen Ziehsohn, Timotheus, schreibt, ist ihm offensichtlich besonders wichtig. Außerdem stehen diese Worte im Zusammenhang mit einer Warnung vor Irrlehren, die er wohl vor allem in einer Abweichung vom geschriebenen und mündlich bezeugten Wort Gottes gesehen hat. Doch zurück zum Text: Schon die hier gezeigte Stelle erklärt, warum Paulus von Heiliger Schrift sprechen kann.  (Röm1,2) Heilig ist sie in dem Sinne, dass hier die Worte Gottes vorliegen“ (Röm3,2): „Ihnen (Autoren des AT) ist anvertraut, was Gott geredet hat.“

Eine 2. klassische Stelle (locus classicus), an der das Inspirationsverständnis des AT in unbestreitbarer Klarheit zum Ausdruck kommt, ist 2.Petr.1,21: „Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben vom Heiligen Geist haben Menschen in Gottes Auftrag geredet.“Wenn man so will, könnte man diese Stelle als Definition des biblischen Inspirationsverständnisses der Heiligen Schrift deklarieren. Es haben Menschen geredet, keine Griffel oder Schreibinstrumente, sondern ganz normale Menschen haben ihre normale menschliche Sprache gebraucht, keine Zungenrede oder dergleichen. Und sie waren getrieben vom Heiligen Geist. Sie haben also nicht ihre eigenen Ideen oder Gottesvorstellungen zum Ausdruck gebracht, sie haben im Auftrag Gottes geredet, haben als Botschafter der göttlichen Absichten geschrieben. Gott selbst war der Auftraggeber. Es hätte nicht klarer geschrieben werden können. Die Klarheit der petrinischen Aussagen steht im scharfen Gegensatz zur Diversifikation (Vielfalt) des kirchengeschichtlichen Inspirationsverständnisses. Bemerkenswerterweise haben wir ein derartiges Zeugnis der biblischen Inspirationslehre nicht nur von Petrus, sondern auch von Paulus. Einen Zweifel an der göttlichen Inspiration des AT und der bis dahin im Umlauf befindlichen apostolischen Texte hat es offenbar nicht gegeben. Wie sieht es nun aus, wenn wir in das AT selbst hineinschauen?  Deut 4,2: „Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davon tun, auf dass ihr bewahrt die Gebote des HERRN, eures Gottes, die ich euch gebiete.“Eine ähnliche Stelle ist 5.Mose 13;1, oder Sp30,6. „Tu nichts zu seinen Worten hinzu, dass er dich nicht zurechtweise und du als Lügner dastehst.“  Auch hier wird Gottes Wort mit der Forderung verbunden, man solle nichts dazufügen. G. Maier schreibt: Aus Offb22,18 (hier wird vor eine Veränderung der Schrift gewarnt) kann man den Schluss ziehen, dass spätestens in neutestamentlicher Zeit eine solche Unveränderlichkeit gerade der Schriftform zukommt. Das wird bekräftigt durch Jesu Wort in Joh. 10:35: „ Die Schrift kann nicht gebrochen werden.“Es ist auch gerade die Schriftform der Tora, die Josua zur aufmerksamsten Beachtung anbefohlen wird (Jos 1,8) Die Schriftform setzt auch Ps 119, 6.18 voraus. Gerhard Maier listet hier zahlreiche Textstellen im AT auf, an denen die Wichtigkeit, die Heiligkeit der Schriftform zum Ausdruck kommt. Ein Beispiel, das mir ziemlich eindrücklich erscheint, aber sich durchaus einreiht in zahlreiche andere ähnliche Textstellen, ist 1.Kön2,3 :„…,dass du wandelst in seinen Wegen und hältst seine Satzungen, Gebote, Rechte und Ordnungen, wie geschrieben steht im Gesetz des Mose, damit dir alles gelinge, was du tust und wohin du dich wendest; damit der HERR sein Wort erfülle, das er über mich geredet hat…!Der Grund für die Unabänderlichkeit und Unzerbrechlichkeit der Worte in der Schrift kann nur sein, dass Gott selbst der Urheber ist. Es kommen noch weitere Beobachtungen in der Bibel hinzu die das Verständnis der Inspiration unterstützen: Mose gilt als Geistträger.4.Mos.11,17: „.. so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst.“ Ebenso die Propheten. Aber auch David weiß, dass der Geist des Herrn durch ihn geredet hat. 2.Sam23,2: „Der Geist des HERRN hat durch mich geredet, und sein Wort ist auf meiner Zunge.“Damit hängt es auch zusammen, dass an vielen Stellen die Formulierung verwendet wird -Die Schrift sagt- nicht: -in der Schrift steht geschrieben-. Es sind die Schriften, die etwas verkünden. G. Maier schreibt: „Und es ist auch die Schrift selbst und nicht nur ein auserwählter Verkündiger, die vom Geist erfüllt und gestaltet ist (2.Tim 3,16).

Fazit: Das AT sieht sich selbst als von Gott inspiriert!

Wie steht es nun mit dem NT. Auch im NT finden sich viele Stellen, die den Anspruch erheben, Gottes Wort zu sein und nicht Menschenwort. Eindeutig ist der Tatbestand in Offb22,18:„Ich bezeuge allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: Wenn ihnen jemand etwas hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen zufügen, die in diesem Buch geschrieben stehen. 19 Und wenn jemand etwas wegnimmt von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott ihm seinen Anteil wegnehmen am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt, von denen in diesem Buch geschrieben steht.“Darüber hinaus zeigt 2.Petr 3,15, dass es wohl schon eine Sammlung von Briefen von Paulus gab, die im Umlauf waren. „…und erachtet die Geduld unseres Herrn für eure Rettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat.  Davon redet er in allen Briefen, in denen einige Dinge schwer zu verstehen sind, welche die Unwissenden und Leichtfertigen verdrehen werden, wie auch die anderen Schriften, zu ihrer eigenen Verdammnis.“ Vier Dinge kann man nach Gerhard Maier an dieser Schriftstelle ableiten: 1. Es handelt sich um mehrere Briefe, die in Umlauf waren. 2.) Paulus verfasste diese in von Gott gegebener Weisheit -Petrus verwendet hier das Passivum divinum. 3.) Diese paulinischen Äußerungen werden wie eine heilige Schrift zitiert. (wie geschrieben hat. Vg.l Rö. 2,4).  4.) Die Paulusschriften werden mit den übrigen heiligen Schriften auf eine Stufe gestellt. Man könne also sagen, dass die paulinischen Schriften schon zur Zeit der Abfassung des Petrusbriefes als heilige Schriften behandelt wurden. Petrus gesteht den Briefen von Paulus göttliche Autorität zu, was er am Ende des 2.Petrusbriefes klar zum Ausdruck bringt. Er schätzt hier den Anspruch auf göttliche Inspiration so hoch ein, dass er sogar vor der Verdammnis bei einer Verdrehung des apostolischen Zeugnisses warnen kann. Untersucht man nun die Paulusbriefe, dann begegnet einem der Anspruch, Gottes Wort zu sein, immer wieder. In unverkennbarer Deutlichkeit tritt uns dieser Anspruch in 1Thess.2.13 gegenüber: „Darum danken wir auch Gott ohne Unterlass dafür, dass ihr das Wort der göttlichen Predigt, das ihr von uns empfangen habt, nicht als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Wort Gottes, der in euch wirkt, die ihr glaubt. 1.Kor.2,13 Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.An der Stelle wollen wir nochmal zurückkommen auf den Brief an Timotheus. Paulus beginnt seine Ermahnungen an Timotheus mit den Worten: „Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut ist; du weißt ja, von wem du gelernt hast und dass du von Kind auf die Heilige Schrift kennst, die dich unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus.“Paulus stellt hier das, was Timotheus von ihm gelernt hat, auf eine Ebene mit der Heiligen Schrift, die Timotheus vermutlich durch seine gläubige jüdische Mutter kennengelernt hat. Das dürfen wir ebenfalls als indirekten Hinweis auf die Inspiration der paulinischen Lehre auffassen, zumal Paulus im weiteren Verlauf der Ermahnungen vor den Einflüssen falscher Lehren warnt. Im Kontext der bisherigen Ausführungen dürfen wir meines Erachtens auch an der Locus- classicus-Stelle im 2. Petrusbrief erwarten, dass Petrus neben dem AT die bis dahin bekannten Schriften von Paulus und möglicherweise sogar auch manche Teile der Evangelien im Blick hatte.

In den Evangelien gibt es ebenfalls zahlreiche Hinweise auf eine Inspirationslehre: Joh 21,24: „Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“Der Begriff der Wahrheit umfasst in der Bibel eine umfassende Bedeutung. In Verbindung mit Jesu Aussage, der Weg die Wahrheit und das Leben zu sein oder mit Joh. 17,17:  „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit“kann man hier auch erkennen, dass der Verfasser von sich der Meinung ist, in Gottes Geist zu sprechen und damit auch inspiriert zu sein. Der Johannesprolog zu Beginn des Evangeliums ist unverkennbar z.T. bis in den Wortlaut hinein eine direkte Anknüpfung an Gen1. „Am Anfang schuf- Am Anfang war das Wort….“ Man kann dies nur so verstehen, dass Johannes hier sein Evangelium auf einer Ebene mit der Autorität und Legitimation der gesamten Heiligen Schrift sehen will. In die gleiche Linie passen auch die Stellen im Johannesevangelium, wo vom Kommen des Heiligen Geistes die Rede ist, der die Apostel in alle Wahrheit leiten will (z.B Joh. 16,13).Auch das Matthäus-Evangelium knüpft vom Wortlaut an Genesis 5 an, und will damit in der Tradition des AT stehend verstanden werden. Man könnte hier noch weitere Hinweise auf den direkten oder indirekten Anspruch der göttlichen Verfasserschaft des NT anfügen. 

Es kann keinen Zweifel geben, dass die Autoren der Bibeltexte sich gegenseitig und sich selbst als die direkten Botschafter Gottes gesehen haben. Sie waren davon überzeugt, dass dies, was sie niedergeschrieben haben, nichts anderes war als das von Gott inspirierte Wort. Wer also die Ganzinspiration der Bibel bestreitet, der kann das nur tun, indem er den Autoren eine Selbsttäuschung unterstellt. Nach meiner Einschätzung besteht hier allerdings die Gefahr der Selbsttäuschung eher auf der Seite der Ausleger, da dieser wiederum das nur tun kann, wenn er dies von einem Standpunkt außerhalb der Offenbarung tut. Er befindet sich damit außerhalb des von der Offenbarung zugewiesenen Bereichs der Erkenntnisfähigkeit. (nämlich im Vertrauen auf Gottes Wort). Konsequenterweise müsste also der Ausleger entweder die Bibel als das von Gott inspirierte Wort anerkennen, wie es die ersten Christen getan haben, oder er müsste zugeben, dass er sich bei der Erkenntnis der Wahrheit nicht mehr auf die Bibel berufen kann. In der Regel flüchtet man sich dann in eine verworrene Zwischenlösung, die noch schlechter nachvollziehbar ist als eine ekstatische Inspirationslehre. Am Schluss möchte ich nochmal auf die Kompromisslösungen zu sprechen kommen. Manchmal versucht man Teile der Bibel aus der Inspiration herauszunehmen. Man glaubt damit eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der Bibel in menschlichen Belangen, d.h. auf dem Gebiet von naturwissenschaftlichen, historischen, geographischen Sachverhalten, theologisch begründen zu können. Es müssten demnach die Teile, die einen menschlichen Ursprung haben von denen, die einen göttlichen Ursprung haben getrennt werden. Schnabel betont in diesem Zusammenhang zu Recht, dass in der Schrift Heilsaussagen mit historischen, geographischen und naturwissenschaftlichen Aussagen unlösbar verbunden sind. Eine Teilinspiration würde uns die Grundlage für ein absolutes Vertrauen in die Schrift als ihr ureigenstes Ziel entziehen. Wo könnte ich der Bibel vertrauen und wo nicht? Die Heilige Schrift kennt eine derartige Frage nicht. Für sie ist es klar, dass sie unser Vertrauen nur gewinnen kann, wenn der Anspruch der göttlichen Inspiration auf alle Teile zutrifft und wenn wir nicht erst durch langes Fragen und Abwägen zu einem Ergebnis kommen, das sich vielleicht mit zunehmendem Wissen als falsch herausstellen könnte. Mit dem Inspirationsverständnis steht und fällt mein Vertrauen in die heilige Schrift. Ohne klares Inspirationsverständnis kann es auch keine Heilsgewissheit geben. Nachdem in der liberalen Theologie nicht nur Randthemen in Frage gestellt werden, sondern auch alle Heilstatsachen früh oder später auf dem menschlichen Prüfstand stehen, werde ich nicht mehr sicher sein können, wie ich in den Himmel komme. Allerdings spielt diese Frage auf dem Hintergrund einer Allversöhnung sowieso keine Rolle mehr, entgegen dem, was uns die Bibel sagt. Was macht die liberalen Theologen da so sicher? Ist ein kollektives menschliches Urteil in Form der historisch-kritischen Theologie sicherer als das Urteil desjenigen, der die Welt geschaffen hat und sich in seinem Wort geoffenbart hat? Sicher würde hier ein liberaler Theologe einwenden, dass es sich um eine unzulässige Gegenüberstellung handelt. Hier möchte ich aber nochmal dran erinnern, dass unser Ausgangspunkt eine reduzierte Inspirationslehre, wie sie von der Bibelkritik vertreten wird, war. Die Frage ist hier nicht, ob es einen doppelten Ausgang gibt oder nicht, sondern wo ich in der Schrift den Weg zum Himmel finde, wenn ich nicht weiß, nach welchem Schild ich mich richten kann.

Die Inspirationslehre ist also keine Erfindung der postreformatorischen Orthodoxie. Sie ist eine sowohl im AT als auch im NT gut verankerte biblische Wahrheit. Setzt man allerdings die Denkkategorien der HKT voraus, dann muss die Inspirationslehre in ihrem klassischen Sinn abgelehnt werden. In einer Theologie, in der die Geschichten der Bibel als innerweltliches Zeugnis kollektiver religiöser Erfahrungen angesehen werden, bleibt kein Platz für eine göttliche Eingebung. Der garstige Graben, mit dem Lessing in der Aufklärungszeit die Unmöglichkeit übernatürlicher Eingebungen und die Dominanz der menschlichen Vernunft zum Ausdruck bringen wollte, besteht nach wie vor. Im Grunde begeht ein bibeltreuer Christ in den Augen der modernen Theologie heute den Fehler, Gottes Reden mit rein menschlichen Erkenntnissen zu verwechseln. Fatal würden diese Fehler, wo man an alten nicht mehr zeitgemäßen Regeln festhalten will und sie zum Maßstab für einen rechten Glauben dogmatisiert. Wie man unschwer erkennen kann, führt dies jedoch zu unkontrollierbaren Beliebigkeit und Subjektivität. Wenn ich nicht mehr sagen kann, was Gott gesagt hat, was kann ich dann überhaupt sagen. Wenn die Bibel nicht das von ihm selbst geoffenbarte Wort ist, dann fehlt mir jegliche Orientierung. Die HKT wirft mich auf meinen eigenen Verstand zurück, der aber nicht als neutrale Größe gottgegeben ist, sondern der selbst von äußeren Faktoren abhängig ist wie Zeitgeist, Gefühlen, Weltanschauungen und soziologischen und politischen Einflüssen.  Nur in der Verbindung mit der Autorität des göttlichen Wortes in der Bibel wird mein Verstand zu einer positiven Größe, die ich in vielfältiger und guter Weise in der Auseinandersetzung mit den brennenden Fragen dieser Welt und dieser Zeit nutzen kann. So und nur so ist die menschliche Vernunft als Geschenk Gottes anzusehen, für die ich dankbar sein kann. Genauso dankbar bin ich aber auch dafür, dass Gott uns seinen Willen in seinem Wort mitgeteilt hat, dass er durch viele Autoren in der Heiligen Schrift sich geoffenbart hat und vor allem uns den Weg zum Himmel gezeigt hat.