Wunderkritik

Schon im Kapitel vorher wurde klar, dass die übernatürlichen Wunder in der HKT einen schweren Stand haben. Tatsächlich ist die Frage nach dem Verständnis der Wunder in der Bibel der Knotenpunkt, an dem sich viele mehr oder weniger wichtige andere Fragen ergeben. Die Wunderkritik gehört dabei zum Kernbestand der historisch kritischen Theologie. Kein Thema hat das Verhältnis der Christen zur Heiligen Schrift und das Verständnis der Beziehung zu Gott und zu Jesus nachhaltiger geprägt als die Wunderkritik. Hier entzündet sich die größte Auseinandersetzung zwischen liberalen und konservativen Christen innerhalb der Kirchen. Wer dieses Skript komplett liest, wird immer wieder feststellen, dass viele Fragen und Ausführungen letztlich immer wieder auf diese Frage zurückführen. Sind die Wunder in der Bibel tatsächlich geschehen, oder sind sie nur fiktiv? Gerade weil es eine wichtige Kernfrage ist, möchte ich diesem Thema ein extra Kapitel widmen.

In der Bibel werden überwiegend Wunder berichtet, die übernatürlicher Art sind. Bei manchen wenigen Wundern handelt es ich um Ereignisse, bei denen man eine natürliche Ursache vermuten könnte. Teilweise versucht man in der liberalen Theologie, alle als übernatürlich geschilderten Ereignisse auf natürliche Ursachen zurückzuführen. Danach hätten die Menschen damals Ereignisse als Wunder angesehen, von denen wir heute wissen, dass sie eine natürliche Ursache haben. (Z.B. Regenbogen). Auch heute werden von Gläubigen viele Wunder als von Gott gewirkt berichtet, die ein Ungläubiger auch als zufälliges natürliches Ereignis verstehen könnte. Diese im Verhältnis zu den übernatürlichen Wundern in der Bibel zu bewerten, ist zwar auch ein spannendes Thema, ist aber nicht Gegenstand meiner Ausführungen. Denn die meisten Wunder in der Bibel werden tatsächlich als übernatürliche Ereignisse geschildert, für die sich nur sehr schwer eine natürliche Ursache finden dürfte.  (Schöpfung, Manna in der Wüste, Noah, Sprachenverwirrung, Mose und die Plagen, Jona, leibliche Auferstehung Jesu und viele mehr). In der historisch kritischen Theologie werden Wunder vielfach nicht als historische Ereignisse angesehen. Wie dieses wunderkritische Paradigma die liberale Theologie durchzieht, möchte ich nochmal mit einigen Kommentaren von namhaften Theologen und Philosophen zeigen:

 Thomas Hobbes 1655: „Whatsoever effects are hereafter to be produced, shall have necessary cause; so that all the effects that have been, or shall be produced, have their nescessity in things antecedent (De corpore , 9,5)

Voltaire: „Ein Wunder ist die Verletzung von mathematischen, göttlichen, unveränderlichen, ewigen Gesetzen. Schon dem Begriffe nach ist ein Wunder ein Widerspruch: Ein Gesetz kann nicht zugleich unveränderlich sein und verletzt werden.“

Immanuel Kant 1783: Alles was geschieht, ist jederzeit durch eine Ursache nach beständigen Gesetzen vorherbestimmt.“

Friedrich Schleiermacher 1829: „Wenn Sie den gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft betrachten, wie sie sich immer mehr zu einer umfassenden Weltkunde gestaltet, was ahndet Ihnen dann von der Zukunft, ich will nicht einmal sagen von der Theologie, sondern von dem evangelischen Christentum…… Der Begriff des Wunders wird nicht mehr fortbestehen können…. ! „

Er sagt, wer an Wundern festhalten will, kommt in einen Widerspruch zur Wissenschaft kommt in eine Blockade , er wird damit den Spott der Wissenschaft auf sich ziehen.

Rudolf Bultmann 1933: „Der Gedanke des Wunders als Mirakels ist für uns heute unmöglich geworden, weil wir das Naturgeschehen als gesetzesmäßiges Geschehen verstehen, also das Wunder als eine Durchbrechung des gesetzesmäßigen Zusammenhangs des Naturgeschehens; und dieser Gedanke ist uns heute nicht mehr vollziehbar.“

Rudolf Bultmann 1949: „Man kann nicht Radioapparat und elektrisches Licht benutzen und im Krankheitsfall moderne medizinische Hilfe in Anspruch nehmen und gleichzeitig noch an die Geister- und Wunderwelt der Bibel glauben.“

Dieser Satz Bultmanns ist berühmt geworden. Wenn man die Geschichte der Theologie studiert, wird man an diesem Satz, den Bultmann nach dem 2.Weltkrieg geschrieben hat, nicht vorbeikommen. Bultmann war der Meinung, man müsse dem modernen Menschen eine Brücke bauen zur Bibel, indem man die Bibel befreit von allen mythologischen Erzählungen. In der hessischen Universitätsstadt Marburg gibt es eine Straße, die nach ihm benannt ist. Am Straßenschild ist folgende Erklärung angebracht: „Er suchte die christliche Botschaft gegenüber dem Wahrheitsbewusstsein der Neuzeit zu verantworten.“ Der Begriff der Entmythologisierung ist genauso wie der obige Satz mit dem Namen Bultmann verbunden. So hat er alle übernatürlichen Wunder einschließlich der leiblichen Auferstehung und der Himmelfahrt, geleugnet. Beeinflusst von Heideggers Existentialismus wurde ihm bescheinigt, dass seine am Menschen orientierten Predigten sehr ansprechend gewesen sein sollen. Man kann zu Recht sagen, dass er neben Karl Barth einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts war. Bis heute beruft man sich in Fachliteratur immer wieder auf ihn oder nimmt Bezug auf seine Theologie. Dass seine Einstellung zu Wundern ihm nicht nur Wohlwollen und Zustimmung eingebracht hat, sondern auch massive Kritik, insbesondere von evangelikaler Seite, ist verständlich. Trotzdem ist sein Vermächtnis der Entmythologisierung des neuen Testamentes bis heute wirksam. Erst vor kurzem habe ich wieder einen YouTube-Vortrag von einer Theologin zum vorliegenden Thema gehört, in dem sie anerkennenden Bezug nimmt auf Bultmann. Auch in einem aktuellen Kommentar bei WiBiLex , den ich weiter unten aufführe, stellen sich die Autoren auf die Seite dieses Theologen, indem sie unverkennbar auf die „Geister und Wunderwelt“ Bultmanns anspielen.  Prof. Klaus Berger zu Bultmann: „Der Einfluss der Werke von Bultmann sind bis heute mächtig. Bis heute sind sie unüberholt und unhinterfragt Bestandteil jedes exegetischen Proseminars“

Umso mehr war ich beeindruckt, als ich vor kurzem gelesen habe, dass Bultmanns sich auf dem Sterbebett bekehrt und seine Schüler und Studenten um Vergebung gebeten hat. Als ich das gelesen habe, bin ich vor Stauen in mich zusammengesunken. Ausgerechnet der Theologieprofessor, der die Welt durch seine Wunderkritik vom Wunderglauben befreien wollte, an dem vollzieht Gott eines der größten Wunder, die man sich vorstellen kann. Er bekehrt sich zum lebendigen Gott, der Wunder tun kann. Praise the Lord. Diese Nachricht sei verbrieft.  Eine Schülerin von ihm, Eta Linnemann, selbst Theologieprofessorin, habe mit dem Ohrenzeugen selber gesprochen. Genauere Umstände sind nicht bekannt. Trotzdem darf man nach meiner Einschätzung vermuten, dass er gespürt hat, wie sein Versuch, eine Brücke zu bauen, ins Gegenteil umgeschlagen hat und die Kluft zu einem persönlichen Gott, der Wunder in vielfältiger Weise tun kann, durch seine Theologie, in der er ja gelebt hat, nur grösser geworden ist.

So radikal, wie Bultmann es zum Ausdruck brachte, formuliert man es heute kaum noch.

Gerhard Karner, zeitgenössischer Theologe: „Fundamentalistische Exegese verkennt an dieser Stelle, dass Wundererzählungen keine Tatsachenberichte sind und auch nicht sein wollen. In ihnen begegnet die Wirklichkeit immer schon als gedeutete Wirklichkeit.“

Gerhard Theissen, zeitgenössischer Theologe: „Gerade die Schilderungen der „Naturwunder“ sind also Produkte theologischer Reflexion, die aus dem Glauben an den Auferstandenen das Wesen Jesu Christi zur Sprache bringen will.“

Robert Funk, Gründer des Jesus-Seminars sagt: „Der Gott des metaphysischen Zeitalters ist tot. Es gibt keinen persönlichen Gott außerhalb des Menschen und der materiellen Welt…Die Vorstellung, dass Gott sich in die Ordnung der Natur von Zeit zu Zeit einmischt, um zu helfen oder strafen, ist nicht länger glaubwürdig, auch wenn die meisten es noch glauben. Wunder sind eine Beleidigung von… Gottes Integrität, unbeachtet dessen, wie wir ihn verstehen. Wunder… widersprechen der Bindung des physischen Universums an Regeln… Gott bricht keine Naturgesetze.

An den deutschsprachigen theologischen Hochschulen gibt es fast keinen evangelikalen Professor mehr. Prof. Zimmer kennt nur 2-3 von 2000. Christoph Raedel berichtet gar von einer Ekelschranke in Bezug auf evangelikale Theologie.

Wibilex charakterisiert die Kritiker der Wunderkritik als Menschen, „die fröhlich den Gottesdienst feiern mit Beamer an die Wand projizierten Liedern sowie Bibelsprüchen, zugleich fest an die Geister und Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben und mit dem logischen Widerspruch zu ihrer wunderfreien Alltagserfahrung existentiell gut leben zu können glauben…“

Hier ist die Wunderkritik eingepackt in eine spöttische Beschreibung von wundergläubigen evangelikalen Christen. Es ist nichts anderes als eine karikative moderne Version von Bultmanns Wunderkritik. Das abschreckende Bild vom naiven, peinlich empfundenen Wundergläubigen, der sich einer modernen Wissenschaftlichkeit verschließt, ist stark verbreitet und wird auch bei Worthaus stark kolportiert. Wundergläubige werden in eine Schublade mit Wissenschaftsfeindlichkeit gesteckt. 

In all den Kommentaren lässt sich der Bezug zur Naturwissenschaft erkennen. Immer wieder wird betont, dass das moderne Verständnis der Naturgesetzlichkeit eine Wunderkritik nahelege. Man begreift die Welt als geschlossenes Ursache-Wirkungs-System, das keine Eingriffe durch eine göttliche Kraft zulässt. Jedes Ereignis ist determiniert durch ein vorausgegangenes Ereignis. In der Naturwissenschaft geht man davon aus, dass sich für jedes Phänomen eine natürliche Erklärung finden lässt. Nicht zufällig ist die Wunderkritik in einer Zeit entstanden, in der die Einschläge der naturwissenschaftlichen Neu-Entdeckungen und des technischen Fortschritts sich massiv gehäuft haben. Nur als kleines, aber vielsagendes Beispiel sei der Blitzableiter erwähnt, der im Jahr 1700 erfunden wurde. Man hatte nun eine natürliche Möglichkeit entdeckt, sich vor den Gefahren eines Gewitters zu schützen. Der Mensch begreift sich zunehmend als vernunftbegabtes Wesen, dass im Stande ist, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Ohne Zweifel hat die Naturwissenschaft unter der Denkvoraussetzung der wissenschaftlichen Allerklärbarkeit beeindruckende Ergebnisse erzielt.  Ich selbst bediene mich als Arzt der großen und wertvollen wissenschaftlichen Errungenschaften der modernen Medizin und wollte auf keinen Fall mehr darauf verzichten. Ich bin immer wieder fasziniert, wie man in der Naturwissenschaft alle Vorgänge und Zusammenhänge mathematisch beschreiben kann und wie dies für alle Bereiche des naturwissenschaftlich erforschbaren Kosmos gilt. Die Mathematik bleibt die gleiche, ob ich nun Ionenkanäle an der Zellmembran oder die Gravitation von Sternen betrachte.  In der naturwissenschaftlichen Forschung erhalte ich positive Ergebnisse, wenn ich mit natürlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen rechne. Nur wenn ich Gesetzmäßigkeiten erwarte, werde ich motiviert sein, diese Gesetzmäßigkeiten zu erforschen. Markus Till arbeitet in seinem Vortrag über Naturwissenschaft und Glauben schön heraus, dass die christliche Religion, in der im Gegensatz zum Pantheismus von Naturreligionen klar zwischen Schöpfung und Schöpfer unterschieden wird, genau diese Erwartung von Gesetzmäßigkeiten in der Natur nicht nur zulässt, sondern regelrecht fördert. Nicht zufällig ist die moderne Naturwissenschaft ausgerechnet in der christlichen Kultur des späten Mittelalters entstanden. Viele große Naturwissenschaftler in der Geschichte der Naturwissenschaft waren bibeltreue Christen. Nicht wenige haben sogar ihre Motivation, die Welt zu erforschen, direkt aus ihrem christlichen Glauben an einen großen Schöpfer bezogen. Die christliche Kultur war der Boden, auf dem der Forscherdrang wachsen konnte, und zwar gerade deshalb, weil man eine naturgesetzliche Ordnung erwartete. Zusätzlich haben die Ergebnisse und die positiven Erfahrungen im Bereich der Forschung die Motivation verstärkt. C.S Lewis: „Diese Leute wurden nicht Wissenschaftler, weil sie alles Übernatürliche ablehnten, sondern“ die Menschen wurden Wissenschaftler, weil sie Gesetze in der Natur erwarteten, und sie erwarteten Gesetze in der Natur, weil sie an einen Gesetzgeber glaubten. Carl Friedrich von Weizäcker ergänzt: „Die moderne Wissenschaft ist ein Geschenk, ich hätte auch sagen dürfen, ein Kind des Christentums“

Davon aber nun abzuleiten, dass es keine Einwirkungen von außen geben kann, ist nicht logisch. Die Frage, die wir nun stellen müssen: Muss das System tatsächlich geschlossen sein? Dass wir für viele Phänomene eine natürliche Ursache gefunden haben, bedeutet das denn tatsächlich automatisch, dass es keine Phänomene geben kann, die keine natürlichen Ursachen haben? Der enorme Fortschritt in der Naturwissenschaft mag dazu verleiten, eine unendliche Kette von natürlichen Erklärungen anzunehmen, aber es gibt keinen sachlichen Grund dafür, warum ein Schöpfer seine geschaffenen Gesetze nicht für einen Augenblick außer Kraft setzen können sollte. Ein kategorischer Ausschluss von übernatürlichen Ursachen kann nicht die logische Konsequenz aus der Erkenntnis sein, dass er für einen bestimmten Bereich zutreffend und geeignet ist. Die Mathematik liefert mir zwar Antworten auf die Frage nach dem- Wie etwas abläuft-. Sie erlaubt mir allerdings keine Antworten auf die Frage nach dem Wesen oder nach den Eigenschaften von Dingen, weil sie nur die Beziehungen von Größen beschreibt.  Die Naturwissenschaft ist nicht in der Lage zu erklären, warum es diese Mathematik, die Wirkungszusammenhänge gibt. Sie versagt bei der Antwort auf die Frage, woher diese Dinge kommen. Auch ethische und ästhetische Aussagen oder Antworten auf Sinn und Zweckfragen sind durch Naturwissenschaft nicht möglich. Naturgesetze gelten einfach- sie sind jedoch für sich weder sinnvoll noch zwecklos, weder gut noch böse. Sie stellen auch keine Kräfte selbst dar, wie man das intuitiv annehmen könnte. Sie beschreiben nur die Kräfte in einer Wenn-Dann-Beziehung.  Bei diesen Überlegungen wird klar, dass Naturgesetze die Welt nur unter einem bestimmten Blickwinkel betrachten. Dieser Blickwinkel reicht jedoch nicht aus, um die Welt und unsere Existenz befriedigend zu erklären. Der Philosoph Wittgenstein hat es in seinem Tractatus so formuliert (aus Wunder, Entdeckungen eines Skeptikers, S. 15 von Eric Metaxas): “Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind“. Trotzdem bin ich nicht der Ansicht, dass die Naturwissenschaft und die Mathematik nur für Nicht-Glaubensfragen zuständig sind, während der Glaube an Gott jenseits aller wissenschaftlichen und mathematischen Überlegungen angesiedelt ist. Nein, ausgerechnet auf wissenschaftlichem Weg stoßen wir auf hochinteressante Entdeckungen und Erkenntnisse, die uns wertvolle Hinweise liefern auf eine Wirklichkeit, die über unser Denkvermögen und ihre wissenschaftliche Erforschbarkeit hinausreichen. Gerade in der Ursprungsfrage des Lebens stößt das Paradigma einer ununterbrochenen natürlichen Ursachenkette an seine Grenzen. Die Entstehung des genetischen Codes setzt eine Intelligenz voraus, die nicht aus der Materie heraus entstanden sein konnte. Das Phänomen der Fähigkeit des Menschen, über sich selbst nachzudenken und sich einen Gott vorzustellen, der außerhalb unseres Raum-Zeit-Kontinuums lebt, kann man evolutionstheoretisch schlecht erklären. Das naturalistische Weltbild ist seit Beginn des 20.Jahrhunderts infolge der Relativitätstheorie und der Quantenphysik, in der es Erscheinungen gibt, die wir zwar mathematisch und experimentell nachweisen können, die sich aber unserer menschlichen Vorstellungskraft völlig entziehen, massiv in Frage gestellt. Nichtmehr die Materie ist die unterste Grundlage aller Physik, sondern die Information, aus der Materie aufgebaut ist und die unser Leben bestimmt. (Siehe Quantenmechanik: Prof. Zeilinger und Prof. H. P. Dürr). Nicht zuletzt auch die Entdeckung der Feinabstimmung der verschiedenen Grundkräfte im Gesamtkosmos lassen einen zweifeln daran, dass rein materielle Vorgänge ausreichen, um diese Welt zu erklären. Die Beschäftigung mit der Evolutionstheorie und mit der Frage, woher alles kommt, lässt den Verdacht auch bei Skeptikern wachsen, dass es mehr gibt, als wir bisher mit unseren wissenschaftlichen Methoden erfassen konnten. Das wissenschaftliche Paradigma eines geschlossenen Weltbildes hat nach meiner Meinung nur noch historische Bedeutung. Damit fällt auch das wissenschaftliche Fundament für die Wunderkritik weg. Der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit fällt auf die Wunderkritiker selbst zurück. Die Wunderkritik ist in einer Zeit entstanden, in der man aufgrund der rasanten Fortschritte in der Forschung von dem Gedanken beseelt war, dass wir eines Tages die letzte natürliche Erklärung für alles finden werden. Heute muss dieser Gedanke der Ernüchterung weichen, dass wir nach vielen Jahren des Forschens noch keine befriedigende Antwort auf eine wachsende Zahl von Fragen gefunden haben und möglicherweise nie finden werden. Die Wunderkritik basiert auf einem veralteten wissenschaftlichen Vorurteil. Es kann keine Wunder geben, weil wir in einem System einer geschlossenen Kette von natürlichen Ereignissen leben. 

Statt aufgrund der Beweise logische Schlussfolgerungen zu ziehen, legt man die eigenen naturalistischen Annahmen über die Beweise. Der Naturalismus wird so zu einem Paradigma, durch das man die Welt deutet. Nicht etwa bewiesene wissenschaftliche Erkenntnisse bringen mich zur Haltung, Wunder anzuzweifeln, sondern unbewiesene und noch dazu unlogische Vorannahmen. Man weiß im Voraus, dass die Berichte der Evangelien falsch sein müssen- und so bleibt dieses negative Vorurteil an allem haften, wovon die Texte berichten.

Stefan Gustavsson sagt dazu: „Weite Teile der Jesus-Forschung der letzten Jahrhunderte erinnern somit von ihrer dogmatischen Haltung her an die frühere mittelalterliche Wissenschaft-nur dass inhaltlich das Gegenteil vertreten wird.“

Ein interessanter Einschub:

 Der Fall Galileo Galilei ist ein gutes Beispiel dafür, wie die kirchliche Dogmatik, die sich nicht etwa, wie vielfach behauptet, an der Bibel orientiert hätte, sondern an der damaligen Mainstream- Wissenschaft, eine konkurrierende wissenschaftliche Weltanschauung lange Zeit abgelehnt hat. Galileo kämpfte mit seiner Erkenntnis des Heliozentrismus (nicht die Sonne kreist um die Erde, sondern die Erde kreist um die Sonne) nicht in erster Linie gegen eine starre Bibelauslegung, sondern gegen die Kirche, die sich dem offiziellen aristotelischen Weltbild verpflichtet gefühlt hat. Der Gegensatz zwischen Galileo und der Bibel wurde zur Zeit der Aufklärung aufgebaut, um das neue Weltbild der Aufklärung, in der der vernünftige Mensch über den Wahrheitsgehalt der Bibel entscheidet, zu rechtfertigen. In Wirklichkeit vertritt die Bibel an keiner Stelle einen ausdrücklichen kosmologischen Geozentrismus. Wenn also bis heute der Fall Galileo als Beispiel für die Unwissenschaftlichkeit der Bibel herangezogen wird und damit als Seitenhieb gegen heutige wissenschaftsfeindliche bibeltreue Christen verwendet wird, dann zeugt dies nicht nur von einer mangelnden Geschichts- und Bibelkenntnis, sondern von einer fatalen Tendenz in der heutigen liberalen Theologie, den gleichen Fehler der Unterwürfigkeit unter die Mainstreamwissenschaft erneut zu begehen. Das seit dem 18. Jahrhundert vererbte geschlossene Weltbild, das für alles eine menschlich nachvollziehbare Erklärung annimmt und von der Theologie zur Grundlage allen Forschens und Arbeitens gemacht worden ist, lässt sich heute angesichts zahlreicher neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse genauso wenig aufrechterhalten wie der Geozentrismus zur Zeit von      Galileo Galilei. Galilei war übrigens ein bibelgläubiger Wissenschaftler und insofern offenbar auch ein Beispiel für die Vereinbarkeit von Glauben und moderner Wissenschaft. Allerdings war er wohl auch eine schwierige Persönlichkeit, was ebenfalls zur Abwehrhaltung der Kirche und der Wissenschaft ihm gegenüber beigetragen haben dürfte. Galileo Galilei (1564-1642): „Die Bibel und die Naturphänomene entstammen gleichermaßen dem Göttlichen Wort. Die Bibel als die Eingabe des Heiligen Geistes und die Natur als die Ausführung der göttlichen Befehle. Die Natur liegt vor uns wie ein offenes Buch, wir müssen nur ihre Sprache verstehen. Es ist die Sprache der Mathematik.“

C.S Lewis schreibt in seinem klassischen Buch: Wunder: „Der Glaube an Wunder ist nicht nur weit davon entfernt, auf der Unkenntnis der Naturgesetze zu beruhen, er ist überhaupt nur in dem Masse möglich, wie diese Gesetze bekannt sind. Wenn man davon ausgeht, dass man das Übernatürliche ausschließt, wird man keine Wunder wahrnehmen. Das haben wir schon gesehen. Nun müssen wir noch hinzufügen, dass man auch dann keine Wunder wahrnehmen wird, wenn man nicht daran glaubt, dass die Natur nach bestimmten Regeln abläuft. Wenn man noch nicht bemerkt hat, dass die Sonne stets im Osten aufgeht, wird man auch nichts besonderes Wunderbares daran finden, wenn sie eines Morgens im Westen aufgeht. Genauso wenig ist Gottes Eingreifen ein Verbrechen an der Natur. Gott bricht keine Naturgesetze, als ob diese außer Kraft gesetzt werden müssten, damit Gott ins Spiel kommt! Ein Wunder handelt stattdessen davon, dass Gott etwas Neues in die gesetzmäßige Situation der Natur hineinbringt. Darum ist es falsch, ein Wunder als etwas zu definieren, das die Naturgesetze bricht. Das tut es nämlich nicht…. Wenn Gott ein Teilchen der Materie vernichtet oder schafft oder abbiegt, so hat er an diesem Punkt eine neue Situation geschaffen. Und sofort gliedert die gesamte Natur diese in sich ein, lässt sie in ihrem Reich zu Haus sein und passt ihr alle anderen Ereignisse an.

Auch in der Theologie hat man dies erkannt.

Schlink, Edmund Ökomenische Dogmatik: „Die Prinzipien der Analogie und der durchgängigen Wechselwirkungen sind weder historisch noch theologisch zu beweisen. Sie sind vielmehr heuristische Prinzipien, die sich in der historischen Forschung als sehr nützlich erwiesen haben, die aber nicht den Rang letzter und allgemein gültiger Kriterien beanspruchen können Die Möglichkeit eines die bekannten geschichtlichen Analogien und Wirkungszusammenhänge durchbrechenden geschichtlichen Ereignisses kann weder metaphysisch noch empirisch ausgeschlossen werden. Der Beweis, dass die Auferstehung eines Toten unmöglich ist, ist unmöglich.“ „Eine genaue Analyse der philologisch-historischen Methode ergibt, dass es sich bei ihr nicht um eine rein formale Methode handelt, sondern dass sie Prinzipien enthält, die von ganz erheblicher inhaltlicher Auswirkung auf die Ergebnisse sind: Es gelten auch heute die… der historischen Methode immanenten Prinzipien, auf die Ernst Troeltsch am Anfang dieses Jahrhunderts hingewiesen hat, ganz selbstverständlich…

Ernst Troeltsch selbst hat dies vermutlich schon erkannt. Deshalb schreibt er auch nicht, dass seine Prinzipien sich direkt aus der Naturwissenschaft herleiten ließen, sondern dass er seine Prinzipien einfach mal als Axiom annimmt. Die Prinzipien beziehen ihre Gültigkeit nicht etwa aus einer wissenschaftlichen Herleitung, sondern aus der positiven Erfahrung mit ihrer Anwendung. Auch in der Wissenschaft haben sich die Prinzipien bewährt, stoßen allerdings, wie oben ausgeführt, seit 70 Jahren zunehmend an ihre Grenzen. Auch in der Naturwissenschaft ist man zunehmend offen, umzudenken. Die Quantenphysiker sind heutzutage gleichzeitig Philosophen, weil sie spüren, dass das alte Paradigma eines geschlossenen Systems nicht mehr haltbar ist. Sollte man in der Theologie, wenn man sich schon immer auf die Naturwissenschaft bezieht, nicht auch offener werden für ein Umdenken?  Zurecht sieht Prof. Rainer Mayer darin den Versuch, „ein rein innerweltliches, mithin atheistisches Wissenschaftsverständnis für die Theologie verbindlich zu machen. […] Diese Prinzipien behindern unvoreingenommene historische Untersuchungen, weil sie aller Erkenntnis ein „Filter“ vorschalten, das von vornherein alles das als „unhistorisch“ aussondert, was nicht in das vorgefasste Wissenschaftsparadigma passt.“ Spätere Theologen haben den Wunderausschluss abgeschwächt mit der Aussage: Wunder könnten zwar geschehen sein, aber die Wissenschaft könne aus methodischen Gründen nichts über sie sagen. Damit wird aber nach wie vor die Möglichkeit, dass real geschehene Wunder die beste Erklärung für die historischen Fakten liefern könnten, von vornherein ohne Sachgründe aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen und damit abgewertet.

Dr. John Lennox Professor für Mathematik: „Wer alles in ein naturalistisches Paradigma zwängt, öffnet der Wissenschaft nicht die Türen, sondern schließt sie“

Hans Küng: „Nicht der Glaube an Wunder, sondern der Glaube an Jesus und an den, den er geoffenbart hat, ist gefordert. In diesem Sinne kann der Glaubende, wie wiederum das Johannesevangelium deutlich macht, auf Wunder überhaupt verzichten: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

Die Wunderkritik wird heute weniger auf dem Argument aufgebaut, dass es echte Wunder nicht geben kann, sondern mehr darauf, dass der Glaube grundsätzlich nicht auf Wundern aufgebaut sein sollte, wie es im o.g. Zitat zum Ausdruck kommt. Wenn Hans Küng hier nicht nur selbst erlebte Wunder, sondern auch die in der Bibel bezeugten Wundertaten Gottes oder Jesu vor Augen hat, dann ist sein Kommentar zu Joh.20,29 eindeutig eine grobe Fehlinterpretation. Denn unmittelbar nach der Begebenheit mit dem zweifelnden Thomas, der seine Hand in die verwundete Seite von Jesus legen darf, schreibt Johannes als Autor des Johannesevangeliums: „Noch viele Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschreiben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ Die Zeichen und Wunder, von der die Bibel berichtet sind also eine wichtige Basis für unseren Glauben. Ein Kommentator, der dies bestreitet, widerspricht damit nicht nur dem Evangelienschreiber, sondern Jesus selbst, weil er seine Jünger immer wieder aufgefordert hat, seine Wunder als Zeichen für seine Gottessohnschaft anzuerkennen. Die genannte Aussage des Theologieprofessors klingt zwar zunächst positiv motiviert, ist aber in Wirklichkeit falsch. Man müsste an der Stelle wieder die Gegenfrage stellen, welchen Glauben, welchen Jesus und welchen Gott meint Herr Küng damit? Wenn er unter diesem Glauben einen Glauben verstehen würde, der sich im -Gutes tun- und -Frieden üben- erschöpfen sollte, dann könnte man der Ansicht zustimmen. Wenn ich aber an einen Gott glauben sollte, der die Welt erschaffen hat, der die Menschheitsgeschichte lenkt, der seinen Sohn auf diese Welt gesandt hat, um am Kreuz zu sterben und wieder aufzuerstehen und der am Ende einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, dann würde der obige Satz von Herrn Küng zum Widerspruch in sich selbst. Jesus ist im Grunde die Verkörperung des größten wunderhaften Vorgangs dieser Welt, nämlich die Menschwerdung Gottes (Inkarnation). Wie kann man an Jesus glauben wollen, ohne an die Wunderdimension Jesu zu glauben? An diesen Ausführungen merken wir, dass sich hinter der o.g. Formulierung ein anderes Gottes- und Jesusbild verbirgt. Entweder, es ist das deistische Gottesbild, dass Gott zwar allmächtig ist aber seit der Initiierung der Schöpfung nicht mehr in das Weltgeschehen eingreift, oder Gott ist lediglich das Gute in dieser Welt, das es zur Geltung zu bringen gilt. In beiden Fällen würde er aber der Heiligen Schrift grundlegend widersprechen. Wir werden am Ende auch klären, wie man Jesu Worte dem zweifelnden Thomas gegenüber im Gesamtkontext der Bibel interpretieren muss. Nun möchte ich aufzeigen, dass ein wunderfreier Glaube kein von der Offenbarung selbst gewollter oder irgendwie getragener Glaube ist. Im Gegenteil: Wenn wir uns kurz an die vielen biblischen Geschichten erinnern, die wir selbst gelesen haben oder noch aus dem Kindergottesdienst kennen, dann kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Bibel die Wunder als tatsächliche Wunder berichtet haben will. Wenn man so will, steckt die Bibel vom Anfang bis zum Ende voller Wundergeschichten. Was wäre das für ein Gott, der die Welt nicht tatsächlich geschaffen haben sollte (Gen 1 +2), dessen rechte Hand nicht die Feinde am Schilfmeer zerschlagen hätte, 2.Mos.15,6: „Herr deine rechte Hand tut große Wunder, Herr deine rechte Hand hat die Feinde zerschlagen“, der nicht Wunder getan hätte in Ägyptenland,Ps.78,12: „Vor ihren Vätern tat er Wunder in Ägyptenland, im Gefilde von Zoan“, der nicht für Josua und seine Streiter seine Verheißungen erfüllt hätte Jos21,2:„Es war nichts dahingefallen von all dem guten Wort, das der HERR dem Hause Israel verkündigt hatte. Es war alles gekommen,“der am Berg Karmel nicht das Feuer vom Himmel geschickt hätte, um zu zeigen, dass er der wahre Gott ist 1.Kön.18,36: „…(es) trat der Prophet Elia herzu und sprach: HERR, Gott Abrahams, Isaaks und Israels, lass heute kundwerden, dass du Gott in Israel bist und ich dein Knecht und dass ich all das nach deinem Wort getan habe! Erhöre mich, HERR, erhöre mich, dass dies Volk erkenne, dass du, HERR, Gott bist und ihr Herz wieder zu dir kehrst!“  Wunder sind also auch Machtdemonstrationen Gottes. Sie sollen zeigen, wer der richtige Gott ist. Sie sollen das Volk zur Umkehr bewegen. Hätte Jesus keine realen Wunder vollbracht, wie sollte man folgende Stellen im Johannesevangelium verstehen?  Joh. 10,38; Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubt mir nicht; tue ich sie aber, so glaubt doch den Werken, wenn ihr mir nicht glauben wollt, auf dass ihr erkennt und wisst, dass der Vater in mir ist und ich im Vater. Joh:20,30f: Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch.;21,25: „Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.  Mit welcher Vehemenz die Bibel das tatsächliche Geschehensein der Wunder betont, sieht man an der Reportage der jüdischen Erklärung des leeren Grabes in Mt.28,11, an der Aufzählung der Zeugen in 1.Kor 15,5 und an den Schilderungen der ersten Begegnungen mit dem Auferstandenen in den Evangelien allgemein. Warum ließe der Evangelist manche zweifeln, wenn es ihn nicht auf das Wunder an sich ankäme? Mt 28,17: Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten“ Lk 24,11 „Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht.“ Joh 20:24.

Man kann den Glauben an den biblischen Gott oder Jesus nicht von seinen Wundern trennen, wie man auch das Kerygmatische (die Botschaft oder die Verkündigung) vom Faktischen nicht trennen kann. Ohne die Wunder gäbe es weder die Evangelien, noch die alttestamentlichen Offenbarungen noch die paulinische Theologie, die auf dem allergrößten Wunder der Geschichte, nämlich der Auferstehung von Jesus und deren Zusammenhang mit dem alttestamentlichen wunderhaften Geschichtshandeln Gottes, aufbaut. Nur auf diesem Hintergrund können wir Jesu Kritik am Zweifel von Thomas richtig verstehen. Jesus konnte damit nicht gemeint haben, dass Wunder generell unwichtig seien oder dass wir gar blind an irgendetwas glauben sollten. Jesus wollte seine Jünger und damit auch uns vorbereiten auf die Zeit, in der er nicht mehr als sichtbarer Mensch unter uns leben wird. Nach der Himmelfahrt wird man nur an Jesus glauben können, ohne ihn zu sehen. Natürlich wollte er damit auch sagen, dass wir nicht für jeden kleinen Vertrauensschritt ein neues Wunder erwarten und nicht bis in die letzte Sicherheit hinein zuerst einen Beweis fordern sollten, bevor wir uns auf ihn einlassen würden. Das größte aller Wunder, die Auferstehung, war geschehen und dies ist vielfach durch Augenzeugen dokumentiert. Das ist und bleibt der untrügliche Ausgangspunkt und der unverzichtbare Grund unseres Glaubens. Darauf baut unser Glaube auf. Joh2,22: „Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.“

Der letzte Schritt zu Gott ist immer ein Vertrauen ohne Beweis. Die ersten Schritte im Glauben kommen ohne jegliche Beweise nicht aus. Sie richten sich an unseren Verstand, der Wunder braucht, um nicht auf blinden Glauben bauen zu müssen. Joh.20,31: „Diese (Wunder) aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.“ In Apostelgeschichte 2,22 sagt Petrus in seiner Pfingstrede: „Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus, der Nazarener, einen Mann, der von Gott euch gegenüber beglaubigt wurde durch Kräfte und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte wirkte, wie ihr auch selbst wisst…“. In seiner Verteidigungsrede vor dem Statthalter Festus und König Agrippa sagt Paulus: Apg.26,25 u.26: „Ich bin nicht von Sinnen, hochedler Festus, sondern ich rede Worte der Wahrheit und der Besonnenheit. Denn der König weiß um diese Dinge, zu dem ich auch mit Freimütigkeit rede; denn ich bin überzeugt, dass ihm nichts hiervon verborgen ist, denn nicht in einem Winkel ist dies geschehen.“ Die Grundlage unseres Glaubens ist und bleibt das Vertrauen auf einen Gott, der große Wunder getan hat und immer noch tut. Wunder sind ein Kernbestandteil der biblischen Offenbarung, weil sie auf das Vertrauen der Menschen in einen allmächtigen Gott abzielen. Sie sind Bestandteil der Begegnung mit diesem Gott, weil ein Wunder immer die Frage nach dem Urheber eines Wunders auslöst, weil es uns zu Gott hinführt. Sie überschreiten die Wirklichkeitsgrenzen zwischen Gott und Mensch. Ohne sie hätten wir keine Gewissheit, dass es diese Brücke zwischen Jenseits und Diesseits gibt.  Deshalb kann man auch nicht auf ein geschlossenes Weltbild insistieren und das Wunder als nicht notwendig für den Glauben darstellen. Gerade die Wunder zeigen uns, dass wir nicht in einem geschlossenen System leben, sondern in einer Welt, die offen ist für Gottes Wirklichkeit. Man könnte die Bedeutung von Wundern auch so erklären. Im Neuen Testament wird das Wort für Wunder (teras) häufig in Kombination mit dem Wort für Zeichen (semeion) genannt. Apg.2,22 Wunder sind also Zeichen, und wie alle Zeichen stehen sie nie für sich selbst, sondern deuten über sich hinaus. Sie wollen unseren Blick weiten und auf eine andere Welt lenken, auf eine Welt, die nicht auf unsere messbaren und greifbaren Dimensionen begrenzt bleibt, die aber auch nicht nur unserer Fantasie oder unseren frommen Wünschen entspringt, sondern die real und erfahrbar ist und die aber weit über unsere Vorstellungen hinausreicht. Wenn wir ein Wunder erleben, erleben wir es nicht um seiner selbst willen, sondern weil es uns auf den hinweisen will, der hinter den Zeichen und Wundern steht, auf Gott. Gleichzeitig sind sie auch ein Zeichen dafür, dass er sich uns mitteilen und mit uns in Kontakt treten will. Im Wunder Christi bricht Gottes Wirklichkeit in unsere Welt hinein und zeigt uns den Weg, wie wir mit dieser Wirklichkeit in Kontakt kommen können. Das Gebet ist der Ausdruck eines Glaubens, der mit dem Ineinandergreifen der beiden Wirklichkeiten, der des Menschen und der Wirklichkeit Gottes und damit auch mit der Begegnung mit dem allmächtigen Gott rechnet. Ansonsten bleibt das Gebet eine reine Selbstmeditation, bei der ich meine Seele reinige und meine Gedanken mithilfe religiöser Inhalte ins Gleichgewicht bringe.  Außerdem wird ein Glaube, der Wunder für überflüssig hält, nicht mit Wundern rechnen, so wie ein Wanderer, der keinen Regen erwartet, auch keinen Regenschirm mitnimmt. Ein wunderfreier Glaube ist also ein rein kontemplativer (betrachtender), sinnlicher Glaube, der weit vom biblischen Glauben entfernt ist, weil er nicht mit Wundern rechnet. Ansonsten hätte uns Gott zu einem Glaubensverständnis in seinem Wort erzogen, das er am Ende gar nicht haben will.  Die Wunderkritik in der historisch kritischen Theologie ist nicht nur von ihrem wissenschaftlichen und philosophischen Ansatz her abzulehnen, sondern auch im Blick auf ihre Konsequenzen für das Bibelverständnis und das Gottesbild, das dem der Bibel und ihren Selbstaussagen ganz klar widerspricht. Gerhard Maier dazu: „In der Tat verschiebt das vom Menschen aufgestellte Urteil über möglich oder unmöglich eigenmächtig den Offenbarungsinhalt. Aus Gott wird dann ein Götze, den Menschengedanken hervorgebracht haben. Und umgekehrt: Es ist ein Bestandteil der Gnade, dass Gott sich auch -zu seiner Zeit! – im Wunder offenbart.“

Gresham Machen 1923: „Wenn man die Wunder ablehnt, macht man aus Jesus die schönste Blume der Menschheit, die einen derartigen Eindruck auf seine Jünger machte, dass sie nach seinem Tod nicht glauben konnten, dass er wirklich tot war, sondern Halluzinationen hatten, die den Eindruck erweckten, er sei von den Toten auferstanden. Wenn man aber die Wunder annimmt, so glaubt man an einen Erlöser, der freiwillig auf diese Welt kam, um uns zu erlösen, am Kreuz für unsere Schuld litt, durch die Macht Gottes von den Toten auferstand und nun lebt, um für uns einzutreten. Der Unterschied zwischen diesen beiden Standpunkten ist der zwischen zwei vollkommen verschiedenen Religionen. Es ist höchste Zeit, dies klarzustellen.“

Nun möchte ich aber noch mit einigen Sätzen auf Wunder eingehen, die heute noch geschehen. In meinem Bücherregal stehen einige Bücher über übernatürliche Eingriffe oder Engelbegegnungen von modernen Menschen. Als kritisch denkender Mensch analysiere ich diese Geschichten genau. Trotzdem gibt es für mich keinen Grund, daran zu zweifeln, dass diese Geschichten wahr sind und derartige übernatürliche Wunder auch heute noch geschehen. Sie tragen alle die Zeichen ehrlicher aufrichtiger Erzählungen und sind meistens aus einer unmittelbaren Bedrohung heraus passiert. Bezogen auf ein einzelnes Menschenleben sind sie sicher selten. Auf die Gesamtheit der wundergläubigen Christen bezogen, gibt es sehr viele spektakuläre Wunderberichte. An der Stelle möchte ich ein Buch von Eric Metaxas: Wunder, Entdeckungen eines Skeptikers empfehlen, in dem viele Wunder beschreiben sind. Während ich über dieses Thema nachdenke, frage ich mich, wie kritische Theologen mit solchen Erfahrungen umgehen. Sind das in den Augen der Kritiker alles Einbildungen? Ich habe den Verdacht, die wenigsten Theologen, die Wunder ablehnen, haben sich mit solchen Wunderberichten ernsthaft auseinandergesetzt, geschweige denn selbst erlebt. Natürlich sollte man den Glauben nicht darauf ausrichten, ständig nach übernatürlichen Wundern zu streben. Wir könne heute auf das größte Wunder, das Gott in Jesus uns geschenkt hat, zurückblicken. Wir haben sein Wort, das durch viele Wunder bestätigt ist. Wir sind heute vielfach nicht mehr existentiell auf übernatürliche Wunder angewiesen. Das sind die Gründe, warum heute nur selten echte übernatürliche Wunder geschehen. Aber wir dürfen auch heute noch mit Wundern jeder Art rechnen, weil Gott sich in seinem Wort als ein Gott, der Wunder tut, offenbart hat. Das hat er sicher nicht getan, um uns auf eine falsche Fährte zu führen. Gott will, dass wir auf seine Kraft, die manchmal auch im Wunder sich manifestiert, vertrauen. Es gibt viele Menschen, die durch die Erfahrung eines spektakulären Wunders zum Glauben gekommen sind. Freilich darf man seinen Glauben nicht an selbst erfahrenen Wundern festmachen, aber an der eigenen Erfahrung des Ausbleibens eines Wunders nun einen Beweis für einen generellen Wunderausschluss zu führen, ist ebenso falsch. Nicht der, der nicht an Wunder glaubt, sondern der, der an Wunder glaubt, ist Realist. Nicht an Wunder zu glauben, ist dem Atheismus wesentlich näher als dem biblischen Wunderverständnis. Genauso wenig kann man an Jesus glauben und gleichzeitig behaupten, man könne auf Wunder verzichten. Vordergründig scheint der Verzicht auf Wunder in der Bibel dem modernen Menschen entgegenzukommen, in Wirklichkeit wirft er aber das Einzige weg, was unserem aufgeklärten Denken Hoffnung und Heilung bringt.