Die Zahl der Kirchenmitglieder hat sich in den letzten 50 Jahren nahezu halbiert und zwar sowohl in der evangelischen Kirche als auch in der katholischen Kirche. Der Anteil der regelmäßigen evangelischen Gottesdienstbesucher lag vor der Corona-Pandemie bei ca. 3,6%. In der katholischen Kirche sind es marginal mehr. Betrachtet man nur die protestantische Seite, dann bedeutet das, dass in Deutschland ungefähr gleich viele freikirchliche wie landeskirchliche Christen regelmäßig in den Gottesdienst gehen, obwohl es viel mehr eingetragene Mitglieder der Landeskirche gibt. Bezogen auf den Anteil der aktiven Gottesdienstbesucher dürfte der Anteil evangelikaler Christen den Anteil liberal eingestellter Christen bei weitem übersteigen. Die genannten Zahlen sollten uns zu denken geben. Es wäre natürlich nicht sachlich, den Kirchenschwund allein auf die zunehmende Liberalisierung der Kirchen zurückzuführen. Sicher tragen Faktoren wie veraltete Gottesdienstformen und Missbrauchs-Skandale genauso dazu bei wie der gesamtgesellschaftliche Wandel in einer pluralistischen Welt. Trotzdem sollte man nicht ignorieren, dass das Bibelverständnis eine ganz maßgebliche Rolle in der Frage der Glaubensbindung spielt. Ich selbst bin in einer Erweckungsbewegung in Hohenlohe in den 70ger Jahren zum Glauben gekommen. Damals haben sich viele Menschen durch Evangelisationen, die von pietistisch geprägten, bibeltreuen Christen getragen wurden, bekehrt. Die Bibel und das Gebet waren dabei tragende Elemente. Gleichzeitig wurde diese Bewegung von vielen Pfarrern in der Umgebung kritisch kommentiert. Nur wenige der Pfarrer und Dekane haben sich damals solidarisiert. Vielfach bestand eine regelrecht ablehnende Haltung dieser Bewegung gegenüber. Seit der damaligen Zeit habe ich durch meine Musiktätigkeit zahlreiche Christen aus den unterschiedlichsten Gemeinden und deren kirchlichem Leben in ihrer jeweiligen Region kennengelernt. Dabei ist mir immer wieder, wie in meiner ursprünglichen Heimat, aufgefallen, dass Gottesdienste evangelikaler Prägung voll waren, während liberale Gottesdienste oft nur dünn besetzt waren. Dazu passend war es offensichtlich, dass die aktive Mitarbeit in der kirchlichen Jugendarbeit, im Kindergottesdienst oder im Konfirmandenunterricht sowie in der regionalen und überregionalen Evangelisationsarbeit deutlich stärker von pietistischen als von liberalen Mitarbeitern getragen wurde, ganz zu schweigen von der weltweiten Mission. In den Kirchengemeinden meiner ehemaligen Heimat kamen fast alle Kindergottesdienst-Mitarbeiter aus der oben genannten Erweckungsbewegung. Dieser Zusammenhang war oft so ausgeprägt, dass man von der Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit eines Gemeindegliedes in einer Kirchengemeinde auf deren geistlichen Hintergrund schließen konnte.
Bis heute lässt sich nach meiner Einschätzung erkennen, dass von pietistischen Kreisen eine weitaus stärkere missionarische Kraft ausgeht als von liberalen Kreisen. Teilweise wird dies auch von liberaler Seite anerkannt, wobei hier gerne argumentiert wird, dass es doch gar nicht auf die Masse ankomme. Zunächst mal klingt das bescheiden fromm. Aber mit anderen Worten heißt dies im Klartext, es komme demjenigen, der so etwas sagt, gar nicht darauf an, dass möglichst viele Menschen den Weg zu Jesus finden. Aber Hallo, kann das eine fromme Absicht sein, nur wenige Menschen zu retten? Das ist ungefähr so, wie wenn ich sagen wollte, bei einer Rettungsaktion von Flüchtlingen im Mittelmeer komme es nicht auf die Masse der Menschen an, die gerettet werden. Natürlich ist mir dabei auch bewusst, dass dies nicht nur in unserer Hand liegt. Wir können keine Erweckung machen. Trotzdem sollte man sich klarmachen, dass der Boden, auf dem Frucht entsteht, auch von uns Menschen bereitet oder verdorben werden kann. Man könnte hier unzählige Beispiele dafür anführen, dass Glauben eher auf bibeltreuen als auf bibelkritischen Boden wächst. Röm 10,17: So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes. Wie vielfach angesprochen, beruht das Predigen in der liberalen Theologie auf Menschenwort. Es werde erst dann zum Wort Gottes, wenn es den Menschen anspreche. Man könnte hier also folgerichtig vom Ergebnis her urteilen: Wenn sich doch zeigt, dass Menschen eher zum lebendigen Glauben kommen auf dem Hintergrund eines traditionellen Bibelverständnisses, dann erweist sich doch eine bibeltreue Haltung als bessere und wirkungsvollere Grundlage, auf der ich mein Verständnis vom Wort Gottes aufbaue. Andernfalls wäre das o.g. Kriterium für Gottes Wort hinfällig oder ich müsste einen Glauben, der sich in aktiver Mitarbeit oder in einem starken Interesse sowohl am Gottesdienstbesuch als auch am Heil des anderen äußert, als falschen Glauben deklarieren. Damit würde sich die liberale Kirche selbst abschaffen. Wenn sich das Wort Gottes in seiner Wirkung erweist, dann würden die bisherigen Ausführungen ja gerade die Richtigkeit einer bibeltreuen Haltung bestätigen. Oder anders formuliert: Die Identität des Wort Gottes nur in seiner Wirkung zu sehen, wie es in der liberalen Theologie oft versucht wird, würde genau das, was sie mit dieser Sichtweise kritisieren wollen, nämlich eine Bibeltreue im Sinne einer göttlichen Inspiration, umso mehr stützen. Nach all dem bisher Gesagten würde ich sogar soweit gehen, zu behaupten, dass die liberale Kirche vielfach nur noch existiert, weil sie von den Früchten der evangelikalen Bewegung lebt. Wenn die liberale Kirche heute oft etwas spöttisch über die Naivität der Bibeltreue lächelt, dann verkennt sie damit, dass sie ihr eigenes Überleben eigentlich denjenigen verdankt, die sie belächelt. In vielen Kirchengemeinden stellen pietistische Bewegungen wie EC, CVJM, CJB, Süddeutsche, auch Teile des EJW in Baden Württemberg, Hendsoltshöher Gemeinschaftsverband usw. die Jugendarbeit, soweit es sie überhaupt gibt, und damit den Nachwuchs der kirchlichen Mitarbeiter. Erweckliche Kräfte in der Kirche und lebendige neue Gottesdienstformen gehen häufig von erweckten Mitarbeitern und Pfarrern aus, die selbst in pietistischen Kreisen geprägt worden sind. Um so trauriger ist es zu beobachten, dass sich nicht wenige, die sich aufgrund ihres ursprünglichen Glaubens für ein Theologiestudium entscheiden, sich während ihres Studiums von diesem Glauben abwenden, der sie selbst ursprünglich zum Studium motiviert hat. Prof. Zimmer als Theologieprofessor aus dem liberalen Lager, der selbst viele Religionspädagogen ausgebildet hat, berichtet, dass sie 2/3 der Theologiestudenten auf ihre Seite ziehen können. Ich selbst weiß von einigen Theologiestudenten, die ihren Glauben während des Studiums radikal verändert haben. Häufig wird diese Veränderung mit der Begründung vollzogen, man habe jetzt zu einem reiferen, freiheitlicheren Glauben gefunden. Vielleicht braucht man psychologisch diese Begründung jedoch manchmal, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sonst viele Jahre des Studiums und der Ausbildung in die Tonne gestampft werden müssten. Nicht wenige Studenten geraten in eine derartige Spannung, dass sie ihr Studium nicht mehr fortsetzen können. Klaus Berger (im Interview mit IDEA): Viele Theologiestudenten brechen ihr Studium ab, weil sie während ihres Theologiestudiums ihren Glauben verlieren. Das hat vor allem mit der Bibelauslegung zu tun. Die Bibel wird auseinandergenommen und demoliert, sodass von ihr fast nichts mehr übrigbleibt. Um das auszuhalten, muss man schon einen außerordentlich gefestigten Glauben haben.“ Corrie ten Boom berichtet von einer ihrer zahllosen Einsätzen auf der ganzen Welt, sie sei in Korea einem überaus traurigen Theologiestudenten begegnet: „Ich habe meinen Weg verloren, sagte er traurig. Als ich Christ wurde, lehrte mich mein Pfarrer zu glauben, dass die Bibel wahr sei. Damals war ich sehr glücklich. Aber seit ich Rudolf Bultmann, einen berühmten Gelehrten studiere, der sagt, dass die Bibel voller Mythen und Legenden sei, habe ich meinen Weg verloren. Ich weiß nicht mehr, wo der Himmel ist.“ Es schien mir nicht recht, dass diese einfachen Jungen von Korea von dieser schrecklichen Theologie durcheinandergebracht wurden. Sie studieren lange Zeit an den Universitäten. Zum Teil doppelt so lange wie die Studenten in Europa und Amerika, und viele verlieren darüber ihren Glauben“ ( aus Corrie ten Boom: Mit Gott durch dick und dünn).
Nach meiner Meinung lässt sich eine bibelkritische Haltung nicht mit Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber vereinbaren. Die Spannung zwischen Bibeltreue und Bibelkritik lässt sich konsequenterweise nur in eine Richtung auflösen. In diesem fortgesetzten Zwiespalt zu leben und dem Zuhörer gegenüber zu vertreten, ist nur möglich, wenn ich viele widersprüchliche Aspekte ausblende. Dazu Gerhard Maier: „Wer beides vereinigen will, die Autorität der Offenbarung und die historische Kritik, der gerät in eine unerträgliche Spannung, die sich am Ende nach einer der beiden Seiten auflösen muss.“
Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass meine Ausführungen eine isolierte Privatansicht sind, möchte ich auf einige gemeindesoziologischen Untersuchungen eingehen, die ich bei meiner Recherche gefunden habe. C.A.Schwarz, der ein Konzept zur natürlichen Gemeindeentwicklung auf dem Boden des biblischen Gemeinde- und Gemeinschaftsverständnisses entwickelt hat, hat 1000 Gemeinden in 32 Ländern untersucht. Dabei hat er festgestellt, dass liberale Theologie und Gemeindewachstum in einem negativen Zusammenhang stehen. Das heißt, wie ich oben schon selbst beobachtet habe, dass liberale Kirchen eher schrumpfen, während evangelikale Kirchen eher wachsen. Evangelikal ist hier nicht im Sinne von Traditionalismus gemeint. Der Traditionalist hält sich an Traditionen, an vom Menschen selbst geschaffenen Formen und Rezepten von gestern und vorgestern. Bibeltreue bedeutet auch nicht, dass man die traditionellen Formen 1 zu 1 auf jede Gesellschaft auf jede Kultur überträgt. Nein, Bibeltreue bedeutet den Griechen ein Grieche den Juden ein Jude usw. im Sinne des Vorbildes von Paulus oder eines Hudson Taylors. In den USA gibt es längst Untersuchungen, die zeigen, dass Denominationen, die sich dem theologischen Liberalismus öffnen, unweigerlich schrumpfen. Dazu Helge Stadelmann: Eine vergleichende Langzeitstudie dreier Denominationen macht deutlich, dass in den vereinigten Staaten zwischen 1776 und 1990 die Kirche die deutlichsten Einbrüche erlebt hat, die sich dem Liberalismus am stärksten geöffnet hat. Letzteres traf für die Methodistenkirche zu, während bei der zwischen Konservatismus und Liberalismus schwankenden Katholischen Kirche noch keine eindeutige Tendenz erkennbar war und sich bei den südlichen Baptisten, die sich am stärksten gegen Bibelkritik abgrenzen, ein bemerkenswertes Gesamtwachstum und die größte Stabilität zeigten. Weiterhin führt Helge Stadelmann aus, dass die Predigt des Wortes Gottes den Hauptwachstumsfaktor bildet… Während sich die Evangelische Kirche innerhalb der letzten 50 Jahre von 43 Millionen auf jetzt 26 Millionen Mitglieder reduzierte also nahezu halbierte, wachsen evangelikale Kirchen in der Zweidrittel-Welt der südlichen Erdhalbkugel in einer in der gesamten Kirchengeschichte nie dagewesenen Weise. Es wäre natürlich nicht korrekt, die statistischen Ergebnisse einer breiten Untersuchung auf jede einzelne Gemeinde zu übertragen und zu behaupten, dass ein leerer Gottesdienst auf einen liberalen Pfarrer schließen lasse. Es gibt hier in beide Richtungen Ausnahmen. Trotzdem sollte eine statistische Tendenz Anlass genug sein, das Konzept der liberalen Theologie in ihren Auswirkungen auf die weltweite Kirche zu hinterfragen.
Der kanadische Professor für Religion und Kultur David M. Haskell hat für seine Studie 2255 Besucher von 22 verschiedenen Gemeinden befragt. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht unter der Überschrift: „Theology matters“ – „Theologie spielt eine Rolle“. Für die Washington Post hat Haskell im Jahr 2017 die Ergebnisse seiner Studie unter einer provokanten Überschrift zusammengefasst: „Liberale Gemeinden sterben. Aber konservative Gemeinden gedeihen.“ Haskell schreibt in seinem Artikel unter anderem: (Aus Markus Till: Aufatmen in Gottes Gegenwart Der Blog)
„In den 5 Jahren haben meine Kollegen und ich eine Studie mit 22 Gemeinden aus großen Denominationen in der Provinz Ontario durchgeführt. In der Stichprobe verglichen wir Gemeinden mit wachsendem Gottesdienstbesuch mit solchen, die kleiner wurden. Nachdem wir die Umfrageergebnisse von über 2.200 Gemeindegliedern und von ihren Geistlichen statistisch analysiert hatten, kamen wir zu einer Entdeckung, die man intuitiv nicht erwarten würde: Die konservative protestantische Theologie mit ihrem „wörtlicheren“ Blick auf die Bibel ist ein wichtiger Prädiktor (d.h. Vorhersagevariable) für Gemeindewachstum, während liberale Theologie zum Niedergang führt…Zum Beispiel fanden wir heraus, dass 93 Prozent der Geistlichen und 83 Prozent der Gemeindeglieder aus wachsenden Gemeinden der Aussage “Jesus ist von den Toten auferstanden, mit einem echten Körper aus Fleisch und Blut, der ein leeres Grab hinterlässt” zustimmten. Im Vergleich dazu taten das 67 Prozent der Gemeindeglieder und 56 Prozent der Geistlichen aus schrumpfenden Gemeinden. Darüber hinaus stimmten alle Geistlichen wachsender Gemeinden sowie 90 Prozent ihrer Gemeindeglieder darin überein, dass “Gott als Antwort auf Gebete Wunder vollbringt”, verglichen mit 80 Prozent der Gemeindeglieder und nur 44 Prozent der Geistlichen aus schrumpfenden Gemeinden.“
In Holland hat man den Glauben von Pfarrerinnen und Pfarrern untersucht und kam zu einem erschreckenden Ergebnis, das in einer Ausgabe von Deutschlandfunk Kultur im Jahre 2007 veröffentlicht wurde. Darin ist zu lesen: (von Michael Hollenbach):
Viele, die als Pastorinnen und Pastoren von Berufs wegen an Gott glauben müssten, wissen nicht mehr so recht, woran sie glauben sollen, sagt der niederländische Religionssoziologe Hijme Stoffels. Er hat den Glauben holländischer Pfarrerinnen und Pfarrer untersucht. Eines seiner Ergebnisse: Für die meisten Theologen ist Gott so etwas wie Licht, Kraft oder eine Vaterfigur, aber ein allmächtiger Schöpfer des Himmels und der Erde ist er nur noch für 40 Prozent der evangelischen Theologen.
Klaus Berger führt das eindeutig auf den langjährigen Einfluss der liberalen Theologie in den Niederlanden zurück. In einer seiner Äußerungen beklagt er, dass das langjährige Wirken des bekannten liberalen Theologieprofessors, Gustaaf Adolf van den Berg van Eysinga (1874-1957), zu einem Niedergang der Kirchen geführt habe. Viele ursprünglich schöne Kirchen seien heute zu Museen umgewandelt.
In Deutschland sind die Verhältnisse vermutlich noch nicht so extrem wie in Holland. Trotzdem zeichnet sich auch hier ein Trend ab, der in die obengenannte Richtung zeigt. Auch in Deutschland werden zentrale Glaubensinhalte zunehmend wegdiskutiert oder geraten immer mehr in Zweifel. Siehe vorausgegangene Kapitel. Nur noch 30% der Kirchenmitglieder glauben an die Jungfrauengeburt. An eine Verdammnis glauben nur noch 10-20%. Es braucht nicht betont zu werden, dass das Folgen der historisch kritischen Theologie sind. Alexander Garth, seit 2016 Pfarrer in Wittenberg, Gründer auch der Jungen Kirche in Berlin (aus Idea Heft 35, 2021), sagt dazu: „Kommunikationsforscher beobachten bei der evangelischen Kirche eine weich gespülte und unsichere Sprache, die zudem oft von der Alltagssprache entfernt ist. Oft wird die Botschaft verkündet, an die man anscheinend selbst nicht glaubt. Weil man zu den biblischen Kernthemen-Sünde, Erlösung, Heiligung, ewiges Leben- nicht mehr viel zu sagen hat, weichen Verkündiger oft auf soziale oder politische Themen aus. Dazu kommt: Das Church Design, also das Auftreten der Kirche in Musik und Liturgie, ist fast nur noch kompatibel für ein konservatives Bildungsbürgertum“. In dem Interview, das der Idea-Reporter Karsten Huhn mit ihm führt, kommt die Sprache auf den gemeinsamen Nenner-Jesus. Der EKD komme es nach ihren eigenen Aussagen doch auch auf Jesus als wichtigstes Kernthema an. Karsten Huhn zitiert aus den Leitsätzen der EKD den Satz: „Wir bezeugen Jesus Christus in der Welt.“ Daraufhin Alexander Garth: “Prima, das klingt richtig gut! Man muss dann nur nachfragen, welcher Jesus gemeint ist: Ist er der Retter und Erlöser der Welt, oder ist er nur ein Sozialreformer, ein moralischer Influencer oder einfach ein frommer Jude, der etwas Tolles wollte, aber leider gescheitert ist? All diese unterschiedlichen Christus-Bilder finden sich in der Theologie. Wir haben den Glauben häufig auf einen Wohlfühlglauben verdünnt. Es gibt keine Klarheit, keine Einheit mehr, sondern unsere Theologie hat sich zersplittert und ausdifferenziert. Es ist typisch postmodern: Wir haben einen Patch-Work-Jesus, und jeder bestimmt selbst, wer Jesus für ihn ist. Wenn ich in Afrika unterwegs bin, sagen mir die Pastoren dort: Wenn du willst, dass dein Dienst ohne Frucht bleibt, übernimm die Theologie Europas!“
Wenn in der Bibel (Röm. 10,17) steht, dass der Glaube aus der Predigt und die Predigt aus dem Wort Gottes kommt, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass mit einer zunehmenden Infragestellung der Autorität der Bibel auch ein Verlust an Glaubenssubstanz einhergeht, was wiederum zwangsläufig zu einem Kirchenmitgliedsschwund führt. Ein konservatives Bibelverständnis korreliert eindeutig mit Gemeindewachstum. Wer in der Kirche keine klaren Antworten mehr auf existentielle und über dieses Leben hinausreichende Fragen vom Wort Gottes her bekommt, der hat keinen Anlass mehr, in die Kirche zu gehen. Wenn Gottesdienste dazu missbraucht werden, gesellschaftspolitische Probleme oder philosophische Gedanken in den Vordergrund zu stellen, dann macht sich die Kirche selbst überflüssig, denn dies kann ich in anderen Diskussionsforen besser tun. Die Kirche schafft sich selbst ab, wenn sie ihren eigenen Markenkern, nämlich die Frage nach dem Heil nicht mehr kommuniziert. Wenn Leiter der Kirche selbst nur noch teilweise das glauben, was in der Bibel steht und teilweise ihren Glauben aus ihren eigenen theologischen und philosophischen Überlegungen zusammenbasteln, darf ich mich nicht wundern, dass viele Kirchgänger verunsichert werden und sich dieser Verunsicherung nicht mehr aussetzen wollen, ganz gleich, von welchen Standpunkt sie starten. Hat in der Bibel nur noch das an Lehren und Werten Gültigkeit, was gerade vor dem Tribunal der angeblich wissenschaftlichen Theologie Bestand hat, dann kann ich nicht erwarten, dass dies von biblisch geprägten Kirchgängern mit großer Zustimmung quittiert wird. Wenn es eh nur subjektiv ist, dann ist die Suche nach Objektivität völlig umsonst. Subjektive Wahrheiten finde ich nur subjektiv. Da brauche ich keine Kirche. Im berühmten Bibel-Psalm in Ps.119,9 steht: „Wie wird ein junger Mann seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält an deine Worte. Ich suche dich von ganzem Herzen, lass mich nicht abirren von deinen Geboten. Ich behalte dein Wort in meinem Herzen…“. Einen festen Halt kann es nur geben, wenn das, woran ich mich festhalte, außerhalb von mir fest verankert ist und nicht in meinen eigenen Wünschen und Vorstellungen. Die liberale Theologie hat aber genau dies getan, sie hat den Halt im Menschlichen bestimmt. Das ist so, wie wenn ich mich in einer Klamm an einer Haltestange festhalte, die nicht in die Felswand geschraubt ist, sondern die ich selbst mitbringe. Da kann ich mich festhalten so stark ich will, sie wird mich nicht vor dem Absturz retten. Wir brauchen den Halt in seinem geoffenbarten Wort, das nicht vom Wind des Zeitgeistes wie eine Fahne umhergeweht wird. Die Anpassung der Predigt an den Zeitgeist unter der Vorstellung, man könne damit mehr Menschen zum Gottesdienstbesuch motivieren, hat zum Gegenteil geführt. In der liberalen Theologie gibt es das Argument, man könne dem modernen Menschen den Glauben an Wunder und Engel nicht mehr zumuten. Die Schlussfolgerung, dem modernen Menschen einen Zugang zur Bibel schaffen zu können, indem man Wunder und Engel aus dem Glaubenskontingent streicht, hat sich als Trugschluss herausgestellt. Wir brauchen keine wunderfreie Theologie, wir brauchen einen Gott, der Wunder tut. Hudson Taylor: „Wir brauchen keinen großen Glauben, wir brauchen einen Glauben an einen großen Gott. Was wir brauchen, ist letztlich eine Umkehr, eine Rückkehr zum Wort Gottes. Große Bekehrungswellen oder Erweckungsbewegungen waren immer assoziiert mit einer Rückbesinnung bzw. Rückkehr zur Autorität der Bibel. Erweckungsbewegungen waren Bibelbewegungen. Schon im alten Testament spiegelt sich diese Erfahrung wider. (2.Kön.22,23; Jes. 8,20; Jer.6,16; Neh. 9). Das führt mich zu meiner Behauptung, dass von evangelikaler Theologie eine wesentlich stärkere missionarische Kraft ausgeht als von einer liberalen Theologie.
Wer Kirche bauen will, der sollte sich fragen, auf welches Fundament er baut. Auf das Wort Gottes oder auf die historisch- kritische Theologie? Wem an der Kirche was liegt, der stellt sich nicht auf die Seite der Kritiker, denn Kritik an der Bibel ist immer zugleich Kritik an der Gemeinde Jesu. Eine Christuszentrierte Kirche ist zugleich bibelzentriert. Ein lebendiger Glaube lebt vom Hören auf sein Wort. Dazu brauchen wir nicht den zweifelhaften und zweifelsäenden Filter der historischen Kritik. Wer Zweifel am Wort Gottes sät, wird Disteln ernten. Wer Vertrauen sät, wird Früchte ernten. Wir brauchen den Zuspruch aus der Ewigkeit heraus, weil wir an unserer eigenen Welt verzweifeln müssen. Da, wo die Kirche dies praktiziert, dass sie auf die ewiggültigen Worte Gottes in der Bibel vertraut, wird sie auch Früchte für die Ewigkeit ernten, auch wenn viele dieser Früchte erst in der Ewigkeit sichtbar werden.
Zum Schluss dieses Kapitels erlaube ich mir, einen der größten Erweckungsprediger und dessen Bibelverständnis zu Wort kommen zu lassen: C.H. Spurgeon (1834-1892): „Denn es steht geschrieben: Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen“ (1 Kor.1,19) Dieser Vers ist eine Drohung, was die weltlich Klugen anbelangt, aber für den einfachen Gläubigen ist er eine Verheißung. Leute, die sich für gelehrt ausgeben, versuchen immer wieder den Glauben schlichter Gotteskinder zunichte zu machen, aber ihre Versuche schlagen fehl, ihre Beweise halten nicht Stich, ihre Theorien versinken unter ihrem eigenen Gewicht. Diese Worte aus dem Munde eines großen Erweckungspredigers und eines Kenners der liberalen Theologie in England zu hören, sollte all diejenigen zum Schweigen bringen, die sich mit einem Überlegenheitsgestus über die verhängnisvolle Wirkungsgeschichte der liberalen Theologie hinwegsetzen und meinen, man könne die Kirche retten, indem man sie befreit von den veralteten Gottesvorstellungen der Bibel. Auf einer Pastorenkonferenz hielt C.H Spurgeon einen seiner letzten Vorträge seines Lebens- er wurde deshalb auch als Spurgeons Testament bezeichnet. Darin sprach sich dieser baptistische Nachfahre der Puritaner und Pietisten für ein vorbehaltloses Vertrauen in die Heilige Schrift aus, und zwar in einer Zeit, in der die Bibelkritik in theologischen Kreisen längst an der Tagesordnung war: „Unsere unfehlbare Grundlage ist das: Es steht geschrieben. Die Bibel die ganze Bibel und nichts als die Bibel ist unser Bekenntnis… (Sie) ist das Wort Gottes und damit die reine irrtumslose Wahrheit. Dieses großartige, unfehlbare Buch ist unser einziges Appelationsgericht… Unsere Ehrfurcht vor dem großen Urheber der Heiligen Schrift sollte uns jede flüchtige Behandlung seiner Worte verbieten. Keine Änderung der Schrift kann irgendwie eine Verbesserung sein.“ Daneben lehnt Spurgeon jede Bibelkritik ab: “Wir haben den Papst aufgegeben, denn er hat sich oft und schrecklich geirrt, und wir werden nicht an seiner Stelle eine Horde kleiner Päpste, die frisch von der Universität kommen, zur Herrschaft erheben. Sind diese Kritiker unfehlbar? Ist es sicher, dass unsere Bibel nicht recht hat, aber dass die Kritiker recht haben müssen?… Wir wollen niemals versuchen, die Hälfte der Wahrheit dadurch zu retten, dass wir einen Teil von ihr wegwerfen. Wir wollen zu allem stehen oder zu nichts. Wir wollen eine ganze Bibel haben oder gar keine.“