Es wird wohl keinen liberalen Theologen geben, der an der Irrtumslosigkeit der Bibel festhält. Die Tatsache, dass aus Sicht der liberalen Theologie die Bibel viele Irrtümer oder Widersprüchlichkeiten enthält, ist eine der Begründungen für die Ablehnung einer Ganzinspiration. Die Bibel könne nicht in toto das geoffenbarte Wort Gottes sein, weil sie viele Widersprüche enthalte. Prof. Zimmer spricht von hunderten von Fehlern und Aussagen, die sich widersprechen. Nun, wie muss man diese Behauptung einschätzen. Prof. Gerhard Maier geht in seiner Hermeneutik ausführlich auf die Geschichte dieses Streitpunktes ein. Wenn man die Geschichte anschaut, dann fällt auf, dass über eine lange Zeit in der Kirchengeschichte bis auf wenige Ausnahmen Einigkeit darüber bestand, dass die Bibel Irrtumslos sei. Justin (gest. ca. 165 n. Chr.) ist überzeugt, dass keine Schriftstelle einer anderen widersprechen kann“ und er werde eher zugeben, “dass ich das Gesagte nicht begreife“, als von Widersprüchen auszugehen. Irenäus leitet in der zweiten Hälfte des 2.Jahrhunderts die Vollkommenheit der Schrift aus ihrer Inspiration ab. Auch für Augustin (354-430 n.Chr.) ist die Schrift ohne Irrtum und Widerspruch. Für Martin Luther ist die Schrift ein Produkt des Heiligen Geistes und als solches „einrein gewiss Wort, das nicht trüget noch fehlet, wie Menschenworte tun“ Es ist für ihn „unmöglich, dass die Schrift sich widerspricht; so erscheint es nur den gedankenlosen und widerspenstigen Heuchlern“ Oder er konnte auch sagen:“ Die Schrift ist Gottes Wort, nicht Menschenwort, welches lügt, kein Jota ist umsonst.“ Auch die anschließende protestantische Orthodoxie und der Pietismus gingen von der Irrtumslosigkeit der Schrift aus. Wenn wir uns fragen, wer nun Recht hat, sollten wir uns zunächst klar machen, was die Schrift selbst zur Irrtumslosigkeit sagt. Wenn man die Bibel auf diese Frage abklopft, dann fällt auf, dass sie nicht von Irrtumslosigkeit spricht. Genauso wenig spricht sie allerdings von Fehlern oder Irrtümern. Um das Selbstverständnis der Bibel zu diesem Thema analysieren zu können, wollen wir zunächst die einschlägigen Stellen dazu anschauen.
Ps 33.4: „Sein Wort ist wahrhaftig und was er zusagt, das hält er gewiss.“; Ps.33,9 „Denn wenn er spricht, so geschieht´s; wenn er gebietet, so steht es da“.In diesem Psalm ist insgesamt dreimal vom Wort Gottes die Rede, das zuverlässig und wirksam ist, und zwar wie bei der Schöpfung, so auch bis in die Gegenwart. 2.Petrus 1,19: „Umso fester haben wir das prophetische Wort, ihr tut gut daran, es zu beachten; denn es ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen.“ Joh. 10,35 : „Die Schrift kann nicht gebrochen werden“. Math 5.17: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.“ In diesem Vers kommt auch zum Ausdruck, dass die Schrift in ihrer Gesamtheit als zuverlässig und wirksam verstanden wurde. Jesus hat diese Sätze in der Bergpredigt selbst gesprochen, was die ummittelbare Brisanz dieser Worte vielleicht umso stärker unterstreicht. Ps 119,9: Wie wird ein Mann seinen Weg unsträflich gehen, wenn er sich hält an deine Worte. Ps 119,105: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. 2.Sam 7,28: „Deine Worte sind Wahrheit“; Joh.17,17: „Dein Wort ist Wahrheit.“ Für Jesus besitzt das Alte Testament göttliche Autorität, wie wir es auch in anderen Kapiteln gesehen haben. Ebenfalls auf die entsprechenden anderen Kapiteln möchte ich verweisen bei der Frage, inwiefern Paulus dem AT und den bis dahin bekannten schriftlichen und mündlichen Zeugnisse von Jesus göttliche Autorität beigemessen hat. Campenhausen kam bei seiner ausführlichen Analyse des Schriftverständnisses bei Paulus zu dem Fazit: „Man kann nicht schriftgläubiger sein als er. Warum? Die Schrift war für ihn das untrügliche, unfehlbar offenbarte Wort Gottes. Die Schrift ist in allem was sie sagt absolut wahr.“ Wir können aufgrund der Selbstaussagen der Bibel nun schon mal festhalten: Die Bibel weist selbst keinerlei Fehlerkultur auf, sie sieht sich in allen Teilen als das absolut zuverlässige Wort Gottes. Sie spricht zwar selbst nicht von Irrtumslosigkeit, setzt diese aber voraus, indem sie von der absoluten Verlässlichkeit spricht. Dies führt uns zur Frage: Wenn man nun in der Kirchgeschichte über viele Jahrhunderte hinweg und in der Bibel von der Irrtumslosigkeit ausgegangen ist, wie kommt es dann, dass man in der neueren Theologie plötzlich zahlreiche Widersprüchlichkeiten und Irrtümer in der Bibel entdecket? Gerhard Maier: „Warum hat die christliche Theologie ca.1700 Jahre so viel Gelehrsamkeit in die Behauptung der Fehlerlosigkeit investiert, wenn jetzt ebenso klar sein soll, dass es diese Fehlerlosigkeit nicht gibt? Die Antwort kann nicht sein, dass der Kirche bis zum 18. Jahrhundert eine andere Bibel zur Verfügung stand. Nach meiner Einschätzung liegt das hauptsächlich an zwei Punkten. Zum einen haben sich die Denkvoraussetzungen seit der Aufklärung geändert. Die Bibel wird seit der Übernahme der Aufklärungsphilosophie in die Theologie nicht mehr als das von Gott inspirierte Wort Gottes gesehen, sondern als ein von Menschen geschriebenes Buch, das deshalb zwangsläufig menschliche Fehler und Irrtümer enthalte. Der 2 Punkt folgt aus dem ersten: Die neue Sicht führte zu einer Neubewertung der Spannungen und der für den kritischen Leser sich zeigenden Widersprüchlichkeiten in der Bibel. Dazu Gerhard Maier: „In der Tat ist die Behauptung einer Widersprüchlichkeit davon abhängig, dass man die menschlichen Glaubenszeugen zu den maßgeblichen Autoren der Schrift ernennt und den göttlichen Autor verdrängt. Es ist vielleicht noch wichtig zu sagen, dass beide Faktoren sich hierbei gegenseitig bedingen. Das Erkennen von Widersprüchlichkeiten führt zur Annahme, dass es sich hierbei nicht um das inspirierte Gottes Wort handeln könne. Wenn es nicht Gottes Wort ist, dann sind Fehler erwartbar, also werden Spannungen und Ungereimtheiten zu echten Widersprüchen. Um nun zu einer Bewertung dieses Sachverhaltes zu kommen, müssen wir uns zunächst mit einer ganzen Reihe von den o.g. angeblichen Fehlern auseinandersetzen.
Der aufmerksame und ehrliche Leser wird in der Bibel auf den ersten Blick zwangsläufig zahlreiche Widersprüche feststellen. Inwieweit es sich tatsächlich um echte Widersprüche oder nur um scheinbare Widersprüche handelt, werden wir im Verlauf sehen.
Widersprüche die sich aufgrund von Augenzeugenberichten ergeben:
Zunächst wollen wir die letzten Jesus-Worte am Kreuz betrachten, die sich bei den verschiedenen Evangelisten unterscheiden. Ein kritischer Theologe wird hier ein Zeichen dafür sehen, dass die Evangelisten sich widersprechen. Ein evangelikaler Ausleger wird hier die Freiheit des Autors sehen, sich einen priorisierten Ausschnitt des Geschehens rauszugreifen oder das zu berichten, was er eben mitbekommen hat. Klaus Berger schreibt dazu: „Die Verschiedenheiten in der Überlieferung der letzten Worte Jesu sind mit Sicherheit der Verworrenheit in dieser Lage der Katastrophe zu verdanken. Jesus kann sie alle geäußert haben. Die verschiedenen Versionen zeigen nur, was für den jeweiligen Evangelisten das Wichtigste war.“ Beide Sichtweisen, die der liberalen und die der evangelikalen Theologie, stehen vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gleichwertig gegenüber. Welcher ich glauben schenke, hängt nicht etwa von objektiven wissenschaftlichen Faktoren ab, sondern von meiner Voreinstellung.
Das gleiche Phänomen finden wir auch beim Vergleich der verschiedenen Auferstehungsgeschichten: Wem begegnet Jesus zuerst nach seiner Auferstehung? Mt.28,1 u. 9 : „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen… Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.“
Mk.16,9 „Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria Magdalena, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte.“
Luk.24,10: „Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln.“
Joh 20,1: „Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war.“
Man könnte hier einen Widerspruch sehen. Markus und Johanes waren sich einig, dass Maria, Magdalena jeweils die erste war, die Jesus begegnete. Im Matthäusevangelium ist noch eine andere Maria dabei. Lukas berichtet, dass etwas später dann noch eine Johanna und andere Frauen in das Geschehen eingeweiht waren, bevor sie es den übrigen Jüngern erzählten. Hier könnte es sich allerdings auch naheliegend um einen zeitlichen Versatz handeln. Diese Beschreibung muss sich nicht auf die erste Begegnung mit Jesus beziehen.
Bei der Geschichte vom blinden Bartimäus (Lukas 18 und Markus 10) kommt es einmal zur Begegnung mit Jesus beim Eintreffen Jesu und einmal beim Weggehen aus der Stadt.
Wie wir an den Beispielen sehen können, sind die Unterschiede gering und ändern an dem entscheidenden Grundvorgang der Geschichte überhaupt nichts. Gerade die Unterschiedlichkeit ist aber ein klares Indiz für die Authentizität, also für die Echtheit dieser Geschichten. Bei der Zeugenvernehmung würde ein völlig identischer Bericht eher den Verdacht schüren, dass sich beide Zeugen abgesprochen haben, um die Wahrheit zu vertuschen. Eine derartige geringe Abweichung wie im Fall des blinden Bettlers oder der ersten Zeugen der Auferstehung spricht dafür, dass hier Wahrheit erzählt wird. Kein menschlicher Richter würde in einem solchen Fall einen der Berichterstatter der Lüge bezichtigen. Es ist aus Sicht der menschlichen Gedächtnisleistung ein völlig normaler Vorgang. Der anhand dieser Beispiele gezeigte Vorgang lässt sich auf viele scheinbare Widersprüchlichkeiten anwenden. Sie beruhen ganz einfach auf Augenzeugenberichten. Aus diesen Unterschieden aber den Schluss zu ziehen, die Berichte seien manipuliert worden oder würden teilweise auf einem Irrtum beruhen, ist keinesfalls sachlich.
Widersprüche, die auf fehlenden Zusatzinformationen oder fehlender Kenntnis von Sachzusammenhängen beim Leser beruhen.
Über den Tod von Judas Iskariot berichtet Matthäus, dass er sich erhängte (Mt 27,5), nachdem er seinen Verräterlohn gespendet hatte. In der Apostelgeschichte lesen wir aber, er sei gestürzt, auseinandergeborsten und seine Eingeweide hätten sich verteilt (Apg 1,18+19). Ist hier nun von zwei verschiedenen Todesarten die Rede? Dazu Thomas Jeising: Es hat zu diesem Widerspruch schon zahlreiche Erklärungen gegeben, ich ziehe diese wegen ihrer Einfachheit vor. Der Baum am Rand des Ackers, an dem Judas sich außerhalb Jerusalems erhängte, lag wahrscheinlich nicht im Blickfeld, so dass er einige Zeit dort hing. Wer sich einmal sachkundig machen will, was mit einem Selbstmörder geschieht, der einige Zeit aufgehängt bleibt, der möge die Berichte des Tatortreinigers Peter Anders5 lesen, der schildert, welche Arbeit er in Wohnungen hat, wenn er in mühevoller Arbeit die Reste der aufgeplatzten Körper entfernen muss, die nicht gleich nach ihrem Tod gefunden werden. Nicht sehr appetitlich, aber lehrreich. Wer das gelesen hat, dem wird bei Judas Tod in Zukunft kein Widerspruch mehr auffallen. Wahrscheinlich ist der Körper des Judas nach einiger Zeit entweder noch hängend oder als man ihn abschnitt, aufgeplatzt.
Nochmal will ich zurückkehren zu den Berichten über die Heilung des blinden Bartimäus
Luk 18;35: Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte.
Mk10,46: Und sie kamen nach Jericho. Und als er aus Jericho hinausging, er und seine Jünger und eine große Menge, da saß ein blinder Bettler am Wege, Bartimäus, der Sohn des Timäus.
Bei den Ausgrabungsarbeiten des alten Jericho hat man die Grundmauern einer zweigeteilten Stadt gefunden. Wenn Bartimäus zwischen den beiden Stadtteilen bettelte, dann wäre dies eine einfache mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Schilderungen. Ein weiteres Beispiel für einen scheinbaren Widerspruch ist der Bericht von den Seligpreisungen. Matthäus verortet sie auf einem Berg, Lukas auf ein ebenes Feld. Das machte mich immer wieder stutzig, bis ich einen Vortrag von Roger Liebi gehört habe, in dem er über die Bedeutung von Bergen in der Bibel spricht. Er berichtet darin, dass es auf dem Berg Tabor im Norden Israels auf halber Höhe ein großes Plateau (= ebenes Feld auf dem Berg) gibt. Diese Stelle sei hervorragend geeignet, nicht nur wegen der guten Akustik eine Predigt vor viel Publikum zu halten, sondern auch den scheinbaren Widerspruch zwischen Lukas und Matthäus aufzulösen. In den genannten Fällen hätten wir also voreilig einen falschen Schluss gezogen, weil wir den Berg Tabor nicht kennen, oder weil wir nicht wussten, was mit einem Erhängten passieren kann, oder dass Jericho zweigeteilt war. Manche scheinbaren Widersprüche ergeben sich also auch aufgrund fehlender Sachkenntnis. Wir dürfen annehmen, dass hinter manchem solcher ungelösten Ungereimtheiten ein derartiges Problem steckt.
Widersprüche aufgrund mangelnder Sprachkenntnis der Ursprachen.
Hier ein Beispiel aus der Apg.9 und in Apg 22. An beiden Stellen wird die Bekehrung von Paulus geschildert. In Apg.9 heißt es: Die Gefährten von Paulus hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. In Apg. 22 heißt es: Sie sahen zwar das Licht aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht. Was nun. Ein eindeutiger Widerspruch? Keineswegs! Wenn man den griechischen Urtext anschaut, steht das Hören einmal in Verbindung mit einem Genitiv und einmal mit Akkusativ. Das heißt einmal ist das Hören allgemein gemeint im Sinne von: Sie hörten zwar eine Stimme oder Stimmen, beim Akkusativ bedeutet das Hören ein konkretes Hören: Sie verstanden die Stimme nicht, die sie hörten. Außerdem dürfen wir beim gleichen Schreiber beider Stellen (Lukas), der uns aus seinem Prolog des Lukasevangeliums in den ersten Versen als akribisch genauer Historiker begegnet, annehmen, dass er selbst hier sich nicht auf kurzer Distanz widersprochen hätte.
Sam 15,11 „Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe; denn er hat sich von mir abgewandt und meine Befehle nichterfüllt.“
1.Sam 15,29 „Auch lügt der nicht, der Israels Ruhm ist, und es gereut ihn nicht; denn er ist nicht ein Mensch, dass ihn etwas gereuen könnte.“
1.Sam 15,35 „Und Samuel sah Saul fortan nicht mehr bis an den Tag sei- nes Todes. Aber doch trug Samuel Leid um Saul, weil es den HERRN gereut hatte, dass er Saul zum König über Israel gemacht hatte“.
Man könnte hier auch einen klaren Widerspruch sehen. Aufschluss über diesen scheinbaren Widerspruch gibt uns ein Blick auf die hebräische Bedeutung von bereuen, das hier verwendet wird. Thomas Jeising schreibt dazu: „Das hebräische Wort „reuen“ nicham enthält verschiedene Aspekte, den von „leid tun, betrauern“ und den von „Beschlüsse ändern oder zurücknehmen“. Es heißt übrigens auch noch „trösten“ oder „sich trösten“, weil die Suche nach Trost bzw. die Gabe des Trostes die Reaktion darauf ist, dass mich Leid betrifft und ich Mitleid empfinde.“ Setzt man die entsprechenden Übersetzungen in die obengenannten Verse ein, so löst sich der Widerspruch ohne weitere auf. Ein Indiz dafür, dass wir manche Ungereimtheiten nicht verstehen, weil wir die alten Sprachen zu wenig kennen. Manch ein Widerspruch beruht möglicherweise auch auf Übersetzungsfehlern. Wir sollten uns hier bewusst machen, dass wir bei der Bedeutung der hebräischen Wörter auf die Bibel selbst angewiesen sind. Im Gegensatz zur griechischen Sprache, deren Bedeutung wir auch aus profaner Literatur teilweise zumindest ableiten können. Beim alten Testament können wir nicht ausschließen, dass manche Stellen auch Fehler in der Übersetzung enthalten und so zu Ungereimtheiten geführt haben. Das betrifft beispielsweise Zahlenwörter. Hier konnte bis heute nicht geklärt werden, inwieweit manche Zahlenangaben 1:1 auf unsere heutigen Zahlen übertragen werden können.
Widersprüche in Verbindung mit Zahlenangaben:
Thomas Jeising schreibt: „Vielleicht bedeutet die Zahl 1000 im Alten Testament nicht immer 1000, sondern im Zusammenhang militärischer Zählung eher Tausendschaft, und bezeichnet damit eine Einheit, wie Regiment oder Bataillon, die nicht 1000 Personen umfassen musste. Bei widersprüchlichen Zahlenangaben könnte es auch so sein, dass ein altes System in ein neueres umgerechnet wurde. So ließen sich vielleicht Abweichungen zwischen den Königsbücher und den Chroniken erklären. So sind auch die Ergebnisse der Volkszählung Davids unterschiedlich. Hätten wir genug Sachkenntnis über die Volkszählung sähen wir sicher keinen Widerspruch.
2.Sam. 24,9 Und Joab gab dem König das Ergebnis der Musterung an. Und zwar gab es in Israel 800000 Wehrfähige, die das Schwert zogen, und die Männer von Juda waren 500000 Mann.
Chr. 21,5 Und Joab gab David das Ergebnis der Volkszählung an. Und zwar gab es in ganz Israel 1110000 Mann, die das Schwert zogen, und in Juda 470000 Mann, die das Schwert führten.
Hier gibt es nach meiner Kenntnis bisher keine plausible Lösung für die unterschiedlichen Angaben. Eine andere Sache ist die unterschiedliche Angabe über den Zeitpunkt der Kreuzigung Jesu.
Mk.15,25: Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten…. Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.
Joh.18,14: Es war aber der Rüsttag für das Passafest, um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Sehet, euer König!
Wie kann es sein, dass Markus die Kreuzigung auf die 3.Stunde datiert, während bei Johannes Jesus um die 6 Stunde noch vor dem hohen Rat steht und gleichzeitig alle 3 Synoptiker sich einig sind, dass die Finsternis zwischen der 6. Und 9 Stunde dauerte. Hier gibt es eine einfache Erklärung. Die 3 Synoptiker (Matthäus, Markus und Lukas) benutzten die gewöhnliche damalige jüdische Zeitrechnung. Demnach ist Jesus um 9:00 gekreuzigt worden. Der Tag begann bei Sonnenaufgang, also um 6:00. Johannes, der sein Evangelium wesentlich später geschrieben haben dürfte, verwendete die römische Zeitrechnung, in der der Tag ähnlich wie bei uns heute um Mitternacht begann. Um die sechste Stunde bedeutet also ungefähr um 6:00 morgens. Das passt sehr gut zu den üblichen Angaben. Jesus stand um 6.00 morgens vor Hannas bzw. Kaiphas, zuvor, also noch in der Nacht hatte ihn Petrus drei Mal verraten und um 9:00 wurde er dann gekreuzigt. Es ist kein Widerspruch zu den übrigen Evangelisten.
Die bisher aufgeführten scheinbaren Widersprüche befinden sich alle auf einem Niveau, das für das Inspirationsverständnis entweder nur eine geringe oder gar keine Rolle spielt. Man könnte hier noch leicht sagen, ob nun sich ein Evangelist vielleicht geirrt hat bei der Angabe der ersten Zeugen, tut dem Glauben an die göttliche Autorenschaft der Schrift keinen Abbruch. Die angeblichen Widersprüche, die wir bisher behandelt haben, sind gering. Ist es denn ausgeschlossen, dass der Heilige Geist nicht durchaus kleine Fehler zugelassen hat? Trotzdem werden diese kleinen nur angenommen Fehler von liberalen Theologen oft ins Feld geführt, um das Festhalten an großen Widersprüchlichkeiten zu rechtfertigen, um schließlich argumentieren zu können, dass die Bibel und Gottes Wort keine Identität aufweisen. Wir kommen hier ganz schnell wieder an den Punkt, dass ich im Falle einer Ablehnung einer Ganzinspiration wieder eine außerbiblische Instanz brauche, um zu entscheiden, was nun Gottes Wort und was reines Menschenwort ist. Ich werde darauf später nochmal eingehen. Jetzt möchte ich die Art der großen Widersprüchlichkeiten , von denen die liberalen Theologen ausgehen, beurteilen. Es geht dabei weiter um innerbiblische Aussagen und Texte, die sich angeblich widersprechen.
Widersprüche, die sich aus dem Verlust des Kontextes oder Einheit der Schrift ergeben
Ein Beispiel ist, zu behaupten, der Jakobusbrief widerspreche der Theologie von Paulus. Gelegentlich rechtfertigt man mit diesem Beispiel die Kritik an der Bibel insgesamt. Martin Luther hat bekanntlich den Jakobusbrief als strohernen Epistel bezeichnet, weil er nicht in sein radikales Konzept der Rechtfertigung allein aus dem Glauben passte. Wenn man allerdings Paulus genau auf dieses Thema untersucht, stellt man fest, dass Paulus durchaus auch von der Wichtigkeit der Werke genau wie Jakobusbrief sprechen kann. An den Stellen meint er allerdings nicht die Werke des mosaischen Gesetzes, sondern die Werke des Geistes. (Im Galaterbrief nennt er sie Früchte) Um nur ein Beispiel zu nennen: Titus 1:16: „Sie sagen sie kennen Gott, aber mit den Werken verleugnen sie ihn. Ein Gräuel sind sie und gehorchen nicht und sind zu allem guten Werk untüchtig.“ Oder Titus 2:14: „Er reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken“. Diese Sätze könnten genauso gut im Jakobusbrief stehen. Wer aus Jakobus und Paulus einen Gegensatz machen will, der hat die Rechtfertigungslehre von Paulus nicht verstanden. Die Theologie ist die gleiche. Nur die Betonung ist in diesem Augenblick des Schreibens eines Briefes oder innerhalb eines Briefes in Abhängigkeit vom Thema – besser in Abhängigkeit vom Ort des Gedankenganges- unterschiedlich. Wir müssen uns hier allerdings nochmal bewusst machen, dass der konstruierte Gegensatz zwischen Paulus und Jakobus eine ganz andere Qualität hat als die zuvor genannten Widersprüche. Hier geht es um tiefe theologische Aussagen, es geht um nichts weniger als um unser Heil, deshalb kann es hier keine Widersprüche geben. Derartige Beispiele werden immer wieder angebracht, um die Autorität wichtiger biblischer Figuren zu untergraben. So wird Jesus gegen das Alte Testament ausgespielt, die Evangelien gegen die Briefe und umgekehrt, der nachösterliche Jesus gegen den historischen Jesus, Paulus gegen Petrus. Am Ende bleibt nur noch ein Häufchen Beliebigkeit, ein Hauch subjektiver Gefühle oder ein christlich garnierter Humanismus übrig. Auch hier zeigt sich: Essentielle Widersprüche kann ich aus der Bibel nicht herauslesen (Exegese), ich kann sie nur hineinlesen (Eisegese). Die Bibel bietet mir keine echten Widersprüche an, wenn ich welche entdecke, dann habe ich sie vorher konstruiert. Aus diesem Beispiel können wir weitere wichtige Erkenntnisse im Umgang mit biblischen Texten gewinnen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass manche sich scheinbar widersprechenden Sätze oder Aussagen nur der Betrachtung einer Sache aus unterschiedlichen Perspektiven oder mit unterschiedlicher Betonung geschuldet sind. Meist kann dies jedoch am Kontext erkannt werden. Die Unterschiede in der Betrachtung ergeben sich oft auch aus der Unterschiedlichkeit der Adressaten, an die ein Text gerichtet ist. Jakobus hat seinen Brief wahrscheinlich an Gläubige geschrieben, bei denen die Einheit zwischen Glauben und Werken bzw. zwischen Wort und Tat zu zerbrechen drohte. Bei den Recherchen zu diesem Thema ist mir aufgefallen, dass ich auch Widersprüchlichkeiten bei Martin Luther finden könnte. Er konnte einerseits von Fehlern in der Schrift reden, aber andererseits schreiben, „die Schrift sei ein Produkt des Heiligen Geistes und als solches ein rein gewiss Wort, das nicht trüget noch fehlet, wie Menschenworte tun.“ So ist auch zu erklären, dass Martin Luther manchmal gleichzeitig für das Argument und für das Gegenargument herangezogen werden kann. Es gäbe zahlreiche Beispiele, mit denen man dies untermauern könnte Zum einen liegt das an der Unschärfe der Sprache, auf die ich später noch eingehen werde, zum andern an der fehlerhaften Berücksichtigung des Zusammenhangs. Das zeigt uns, dass das Urteil über Widersprüchlichkeiten oft sehr subjektiv ist. Klaus Berger sagt dazu: Das Unechte ist meist das Unbeliebte! Vermeintliche Widersprüche ergeben sich auch dadurch, dass es auf geistlichen Gebiet Glaubensinhalte gibt, die ich nicht exakt mathematisch erfassen kann oder die sich einer völlig logischen Auflösung entziehen. Ich kann sie deshalb mit Hilfe der Sprache nur so darstellen, dass eine logische Spannung bleibt. Sie nach einer Seite aufzulösen, würde die Bedeutung verfälschen und den Boden bereiten für Irrlehren, was sich oft genug gezeigt hat. Das einfachste Beispiel ist die Doppelnatur Jesu. Einerseits ist es unmöglich, das zu denken. Der Vergleich mit den Aggregatszuständen des Wassers ist zwar nicht schlecht, aber bleibt trotzdem hinter der tiefen Bedeutung der Doppelnatur Jesus zurück, weil Jesus zu Erdenzeiten eben ständig zugleich Gott und Mensch war. Andererseits halte ich es für faszinierend, dass wir es doch denken können. Ich kenne kaum Christen, die da heute ernsthaft Probleme damit hätten. Als Menschen sind wir in der Lage, auch abstrakt zu denken- vermutlich auch eine Qualität, die in der Ebenbildlichkeit Gottes begründet ist. Andere Beispiele für ein für unser logisches Denken nicht spannungsfrei erklärbare Wahrheiten sind das Verhältnis von Werken und Gnade, von Vorherbestimmtheit und freiem Willen von Tugend und Geschenk, von Richtgeist und Urteil über Irrlehren usw. Nicht an jeder Stelle der Bibel werden beide Seiten eines Sachverhaltes immer sachgemäß berücksichtig oder manchmal wird nur eine Seite beleuchtet, weil die Angesprochenen in den Augen des Schreibers Zeichen einer Einseitigkeit erkennen lassen, wie im Jakobusbrief. In den meisten solcher Fälle werde ich die Bibel nur richtig verstehen, wenn ich von einer Einheit ausgehe, oder den Gesamtkontext ernst nehme. Dunkle Stellen werden von den hellen erleuchtet. Das ist das Prinzip der Selbstauslegung. (Sola sriptura ipsi sius interpres), die in der Reformation zur besonderen Geltung kam aber auch für uns heute das wichtigste Auslegungsprinzip geblieben ist. Dies funktioniert aber nur dann, wenn ich die Bibel als Einheit sehe und mir bewusst bin, dass die Einheit ein von Gott gestiftetes Geschenk ist. Andernfalls liegt es in der Natur der Sache, dass ich in manchen Aussagen der Schrift Widersprüche sehe.
Dazu Thomas Jeising: „Es gehört in der kritischen Theologie heute weitgehend zum System, die Einheit der Bibel völlig abzustreiten und die Einheit einzelner Bücher regelmäßig in Zweifel zu ziehen. Das hat einerseits seinen Ausgang in einem Widerspruch, den man zu entdecken meinte und führt andererseits dazu, dass auch jeder noch so kleine Unterschied in Nuancen zu einem Widerspruch stilisiert wird. Jeder gefundene Widerspruch wird dann zu einem Ankerpunkt für eine kritische Theorie, „sodass darüber der Blick für die Einheit und umfassende Aussagen der Heiligen Schrift verloren gehen. Dann zerbröckelt der Pentateuch und jedes andere biblische Buch zu einem Konglomerat beziehungsloser Texte. Die alles verbindende Einheit wird nicht mehr gesehen, die Botschaft des Ganzen nicht mehr gehört…“.
Nach evangelikalem Verständnis ist die Bibel zugleich Gottes Wort und Menschenwort. Auch hier besteht eine gewisse logische Spannung. Diese Spannung nach einer Seite auflösen zu wollen, wäre ebenfalls nicht richtig, weil sie dem Selbstverständnis der Offenbarung im Gesamtkontext widersprechen würde. Hierbei sollten wir allerdings beachten, dass sich beide Komponenten nicht wie in der historisch- kritischen Theologie immer wieder geschehen, trennen lassen. Es wäre nicht richtig zu sagen, an manchen Stellen sei die Bibel Menschenwort und an manchen Gottes Wort. An den Stellen, an denen Irrtümer auftauchen, sei sie eben nur Menschenwort. Jeder Vers ist immer beides gleichzeitig. Gelegentlich wird das Verhältnis beider Komponenten der Bibel mit der Doppelnatur Jesu verglichen, der eben auch beides war -Gott und Mensch gleichzeitig. Auf der menschlichen Seite seien deshalb auch Fehler möglich. Wenn man schon diesen Vergleich benützt, dann kann man ihn aber nicht dazu verwenden, die Fehlernatur der Bibel plausibel zu machen, denn Jesus war als Mensch ebenso fehlerlos. Jesus war, wie bereits oben erwähnt, gleichzeitig Gott und Mensch. Übrigens, um bei diesem Vergleich zu bleiben, wäre es nicht auch denkbar, entgegen den biblischen Aussagen, der Darstellung von Jesus im neuen NT Fehler zu unterstellen, z.B. bei der Tempelreinigung, wo Jesus zornig geworden ist? Jesus einen Fehler zu unterstellen, würde hier eher meinem subjektiven menschlichen Maßstab entstammen und hätte keinen Rückhalt in der Schrift selbst. Das wäre Eisegese.
An der Stelle sollten wir uns aber auch mit der menschlichen Seite der Schrift beschäftigen. Worin kommt denn nun die menschliche Seite des Gotteswortes zum Tragen, wenn nicht in Fehlern? Die Bibel besitzt ohne Zweifel eine menschliche Seite. Die Autoren haben erkennbar in ihrem eigenen Sprachstil geschrieben. Auch der gesellschaftliche und zeitliche Kontext wird an vielen Stellen sichtbar oder kann eruiert werden. Um einen Text und die Aussageabsicht zu verstehen, gehört es daher auch immer dazu, nach dem Zielpublikum, nach dem kulturellen Kontext sowie nach dem heilsgeschichtlichen Zusammenhang zu fragen. Selbstverständlich sollten wir klären, welche Textgattung vorliegt. Ist es z.B. ein Gleichnis, will der Text tatsächliches Geschehen berichten? Die menschliche Seite der Bibel beinhaltet aber auch sprachliche Unschärfen, wie ich es oben schon teilweise erklärt habe, das liegt in der Natur der menschlichen Sprache. Nach diesem Konzept werde ich auch immer Fehler in der Bibel finden, wenn ich es darauf anlege bzw. wenn ich Fehler finden will, weil Sprache nie mathematisch exakt ist. Ähnlich wie in einem Streitgespräch, in dem ich dem Gegner Widersprüchlichkeiten vorwerfen könnte, indem ich den Kontext einer Aussage ignoriere. Trotzdem ändert das nichts daran, dass ich eine Aussagen in seinem inhaltlichen Zusammenhang gut verstehen kann, wenn ich will. Zusätzlich habe ich eine Vorkenntnis von der Persönlichkeit, die hinter einer Aussage steht, sodass die Bedeutungsbreite einer Aussage noch weiter eingeengt wird. Im Falle von biblischen Texten ist das Gott. Auch diese Vorkenntnis wird mir helfen, die Aussageabsicht eines Textes in seinem göttlichen Gesamtkontext noch besser zu verstehen. Wenn Gott als Autor ausscheidet, wie in der liberalen Theologie, dann fehlen mir zwei wesentliche Kriterien, biblische Texte zu erschließen und Widersprüchlichkeiten zu beurteilen. Zum einen die Einheit der Schrift, die mir den Text im Gesamtkontext erschließt, und zum andern die Vorkenntnis der göttlichen Autorenschaft. Fehler zu finden, liegt dann nicht am Gegenstand der Untersuchung, sondern an der mangelnden Bereitschaft, die Bibel als Einheit und als von Gott inspiriert anzusehen.
Nun kommen wir zu Widersprüchlichkeiten mit außerbiblischen Kenntnissen.
Widersprüche zur historischen Forschung.
Auf keinem anderen Gebiet mussten Hypothesen der wissenschaftlichen Seite so häufig revidiert werden wie auf dem Gebiet der historischen Forschung. Teilweise bin ich da in anderen Kapiteln darauf eingegangen. Zunächst die Pentateuchkritik, nach der man zahlreiche verschiedene Quellen entdeckt zu haben glaubte. Aufgrund unterschiedlicher Gottesnamen und unterschiedlicher Sprachstile und Themen ging man davon aus, dass ursprünglich mehrere Schöpfungsgeschichten und Erzählkulturen im Umlauf waren, die dann von einem Endredaktor am Ende oder nach der babylonischen Gefangenschaft in der heutigen Form zusammengetragen wurden. Auch Widersprüchlichkeiten in den Quellen nahm man als Ausgangspunkt für eine Theorie, die die Verfasserschaft von Mose ablehnte und die dann wiederum dazu führte, dass man Widersprüche geradezu finden musste, um die Theorie zu stützen. Dass man hier nicht mehr von Wissenschaft prechen kann, ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass keine der postulierten Quellen jemals gefunden wurde, sondern dass es inzwischen so viele sich widersprechende Theorien dazu gibt wie Wissenschaftler. Weitere Beispiele für Irrtümer in der Wissenschaft sind unter anderen: Die Schreibkunst gab es schon viel früher als ursprünglich angenommen, als man die Autorenschaft Moses an seinen 5 Büchern in Frage zu stellen begonnen hat. Entgegen der früheren Annahme, dass es sich bei Abraham nur um eine fiktive Person handelte, hat man Tontafeln in der Gegend des früheren Ur gefunden, auf denen der Name Abraham erscheint. Der Auszug aus Ägypten wurde historisch abgelehnt. (Finkelstein: Keine Posaunen vor Jericho) Durch eine Verschiebung der bisher angenommenen Chronologie, die sich vorwiegend an der ägyptischen Geschichtsforschung orientiert, ergibt sich ein Bild, das wunderbar zu den im Pentateuch geschilderten Ereignissen passt. Der Hiskia- Tunnel wurde wieder entdeckt- ich habe Teile davon bei meinen Israelreisen selbst gesehen-die Masse stimmen in erstaunlicher Weise mit den biblischen Angaben überein. Man könnte die Reihe der Übereinstimmung von historisch- biblischen Berichten mit den archäologischen Funden problemlos forstsetzen. Ich werde dazu einen eigenen Vortrag erstellen. Auch der Gegenprobe hält die Bibel stand. Man könnte beispielsweise argumentieren: Wenn die Bibel tatsächlich ein rein menschliches Buch wäre, deren Inhalt wenigstens 2000 Jahre alt ist, und deren Geschichten mindestens teilweise Fantasieprodukte sind, warum ist es dann bis heute nicht gelungen, einen eindeutigen Widerspruch zur modernen Archäologie bzw. Geschichtsforschung nachzuweisen? Wäre es nicht wahrscheinlich, dass man angesichts der langen Entwicklung des AT wenigstens ein paar wenige eindeutige Widersprüche findet? Es gibt sie aber nicht! Warum wohl? Viele ehemals geglaubte Irrtümer haben sich inzwischen als wahr erwiesen oder können als Irrtümer stark in Frage gestellt werden. Die liberale Theologie ist nach meiner Einschätzung heute in der Bringschuld, wenn sie behauptet, dass viele Geschichten keine historische Grundlage hätten. Sie baut hier auf viele veraltete wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich inzwischen als falsch erwiesen haben. Trotzdem hält die HKT an ihrem Credo der fehlenden und nicht relevanten Historizität fest. Manchmal bekommt man den Eindruck, hier ist nicht eine echte Wissenschaftlichkeit am Werk, sondern eine institutionalisierte Befangenheit. Nicht selten liest man Sätze, wir können heute nicht mehr anders. Wir können nicht mehr hinter die Aufklärung zurück. Ein Kommentar eines bekannten profanen Historikers gibt uns hier Aufschluss über das Problem einer solchen Einstellung.
Henri Irenee Marrou 1904-1777
Der Historiker darf gegenüber den Zeugen der Vergangenheit nicht eine verdrießliche, kleinliche und mürrische Haltung einnehmen wie ein schlechter Polizist, dem jede vorgeladene Person a priori bis zum Beweis des Gegenteiles als verdächtig und schuldig gilt. Eine solche Überspitzung des kritischen Geistes wäre für den Historiker alles andere als eine Qualität, vielmehr ein grundlegendes Laster, das ihn praktisch unfähig macht, die wirkliche Bedeutung der zu untersuchenden Dokumente, die Tragweite und ihren Wert zu erkennen; eine solche Haltung ist in der Geschichte ebenso gefährlich, wie im täglichen Leben die Furcht, getäuscht zu werden.
Wenn in der Bibel beispielsweise historische Irrtümer stehen, dann impliziert das automatisch: Der Schreiber hat sich getäuscht, es hat sich nicht so zugetragen, es muss also anders gewesen sein. Warum hat es uns Gott dann nicht so übermittelt wie es wirklich war? Gab es denn in dieser Zeit keine realen von Gott gewirkten Erfahrungen, die es Wert gewesen wären, sie der Nachwelt in schriftlicher Form zu überlassen. Warum hat es Gott zugelassen, dass die unwahre Geschichte erzählt wurde und die wahre vergessen wurde. Eine fiktive Geschichte ist historisch gesehen immer der Ersatz für eine echte Geschichte. Für den liberalen Theologen ist das eh keine Frage, weil er nicht mit einem in der Geschichte handelnden Gott rechnet, wie wir es vielfach gesehen haben. Wenn die Bibel also unablässig davon spricht, absolut verlässlich zu sein und zu halten was sie verspricht und darum wirbt, mich darauf einzulassen, dann passt dies keinesfalls zu der Annahme von zahlreichen Irrtümern.
Naturwissenschaftliche Widersprüche
Dann gibt es noch die naturwissenschaftlichen Irrtümer. Hier wird jedem sofort als Paradebeispiel die Evolutionstheorie einfallen, auf die ich allerdings hier nicht eingehen werde, weil ich diesem Thema ein großes extra Kapitel gewidmet habe. So viel kann ich aber hier schon mal verraten: Einen Irrtum zu sehen, bedarf einer weltanschaulichen Vorentscheidung, die allein wissenschaftlich nicht sachlich durchzuhalten ist. Manchmal wird der Hase als Beispiel angeführt, der unter die Wiederkäuer in 3.Mose 11,6 eingruppiert wird. Auch dieses Beispiel fällt durch, weil man inzwischen weiß, dass Hasen ihren eigenen Kot fressen, um Restnährstoffe zu verwerten. Man hatte dies offensichtlich damals genauer beobachtet als die Menschen bis ins 19. Jahrhundert, als man dieses Verhalten neu entdeckte. Oft wird dem Schöpfungsbericht ein veraltetes Weltbild unterschoben. Im entsprechenden Kapitel werde ich dies ebenfalls widerlegen. Im Josuabuch wird davon berichtet, dass die Sonne stillstand. Das sei doch ein klarer Fall, dass die Menschen damals an ein geozentrisches Weltbild geglaubt haben. Wenn ich dies als Widerspruch deklariere, dann müsste ich aber genauso dem heutigen Nachrichtensprecher ein mangelndes Allgemeinwissen unterstellen, wenn er vom Sonnenaufgang spricht. Natürlich haben diese Menschen die Sprache des Augenscheins verwendet, um natürliche Vorgänge zu beschreiben, wie wir das heute auch vielfach tun. Physikalisch korrekt wäre es nicht einmal, davon zu reden, dass der Regen von oben kommt, oder dass der Mond scheint.
Nun möchte ich zum Schluss auf meine eingangs gestellte Frage zurückkommen. Wie muss ich die Behauptung, die Bibel enthalte viele Widersprüche, beurteilen?
In den oben zitierten Bibelversen wird häufig das Bild des Weges, bzw. des Unterwegs-seins verwendet. Sein Wort hat also die Funktion, uns den Weg zu weisen, uns Orientierung zu bieten in der Dunkelheit, ja uns ans Ziel zu bringen oder uns vor Fehltritten oder vor Verirrung zu bewahren. Dabei bietet sein Wort mir einen festen Halt, und zwar solange diese Welt besteht. Es ist dabei absolut verlässlich. Diese Funktion seines Wortes kann es aber nur dann erfüllen, wenn es eindeutig ist und nicht widersprüchlich. Ich kann nicht von einem Pferd erwarten, dass es den richtigen Weg geht, wenn ich ihm widersprüchliche Signale gebe. Die Absicht des Reiters muss für das Pferd erkennbar sein. Wir sehen also, es geht darum, dass Irrtümer in der Heiligen Schrift seiner oben genannten Funktion als Wegweiser zuwiderlaufen würden. Die Voraussetzung für einen sicheren Halt oder für eine absolute Verlässlichkeit der Schrift ist die Eindeutigkeit oder die Erkennbarkeit seiner Aussageabsicht. Fehler oder Widersprüchlichkeiten würden die Eindeutigkeit der Aussageabsicht konterkarieren. Hier kommt allerdings noch ein zweiter Aspekt zum Tragen. Als derjenige, der auf die Verlässlichkeit seines Wortes angewiesen ist, kann ich nicht der Schrift vorschreiben, wie sie mich führen soll, was an seiner Wegweisung falsch ist oder was richtig ist. Sonst wäre ja das Licht oder die Wegweisung gar nicht nötig. Ich muss bereit sein, hinzuhören und mich auf die Absichten Gottes einzulassen. Das nennt die Bibel Vertrauen. Irrtümer in der Bibel würden also nicht nur die Eindeutigkeit seiner Aussageabsicht, sondern auch meine Reaktion in Form von Vertrauen untergraben. Wir können nun schon mal festhalten, dass die Bibel um unser Vertrauen und unseren Gehorsam wirbt, was aber nur unter der Voraussetzung ihrer Eindeutigkeit bzw. ihrer Widerspruchlosigkeit in ihrer Aussageabsicht möglich wäre. Wir dürfen also erwarten, dass sein Wort im Blick auf seine Aussageabsicht und im Blick auf mein Vertrauen keine Fehler enthält. Andernfalls würde Gott von uns etwas völlig Unmenschliches erwarten. Die Bibel ist von Gott her gesehen also absolut verlässlich in ihrer Aussageintention und damit auch fehlerlos. Deshalb hat die Lausanner Verpflichtung in ihrem Artikel 2 formuliert: „Das Wort Gottes sei ohne Irrtum in allem was sie verkündet.“ Man könnte hier noch ergänzen: was es verkünden will. Gerhard Meier schreibt dazu: a.) „Das zur Schrift gewordene Wort Gottes ist vollkommen verlässlich und fehlerlos im Sinne seiner göttlichen Zwecke, also von Gott her betrachtet. b.) Der menschliche Ausleger muss die Offenbarung sagen lassen, was es sagen will. Er kann sie nicht seinen eigenen Ansprüchen unterwerfen und ihre Auskünfte abzwingen, die sie gar nicht geben will: Der Anspruch des Auslegers, der sich mit der Offenbarung auf dieselbe Stufe stellen will, wird zur Anmaßung. Wir müssen, um es mit Luther einprägsamen Formulierungen auszudrücken: „die Apostel und Propheten lassen auf dem Pult sitzen und wir hinieden zu ihren Füssen hören, was sie sagen, und nicht sagen, was sie hören müssen.
Dieses Konzept der Aussageabsicht wenden wir übrigens in unserem Alltag ständig an, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Unsere menschliche Sprache ist so aufgebaut, das wir uns meistens nicht mathematisch exakt ausdrücken. Unsere Alltagssprache enthält zahlreiche Unschärfen. Wenn meine Frau zum Beispiel sagt: Ich gehe jetzt zum Einkaufen, dann weiß ich, dass sie nicht wirklich geht, sondern mit dem Auto fährt. Trotzdem werde ich mich von meiner Frau nicht scheiden lassen, weil sie mich ständig belügt. Wir verwenden Übertreibungen oder Untertreibungen und sind uns trotzdem sicher, dass unsere Zuhörer uns richtig verstehen.“ Ich hatte das in Null- Komma-Nix erledigt“. Oder: „ich brauchte eine halbe Ewigkeit, um das zu erledigen.“ Keiner würde hier auf den Gedanken kommen, dass hier behauptet wird, man habe die Lichtgeschwindigkeit außer Kraft gesetzt. Manchmal werden Unschärfen auch bewusst falsch verstanden, um eine Aussage oder Aufforderung zu untergraben. Ich sage zu meinem Sohn: Du könntest heute den Abfall runterbringen. Am Abend sehe ich dann, dass er es nicht gemacht hat, worauf mein Sohn antwortet: Du hast ja nur gesagt: Du könntest…..! Viele Streitigkeiten beruhen auf derartigen Sprachunschärfen. Anders wäre es nicht zu erklären, dass man den Gegner immer falsch verstehen kann, wenn man will. Der Buchstabe oder das einzelne Wort in der Sprache lassen im Grunde immer nur eine Breite der Interpretation zu, so dass eine Aussage nur im Kontext und nur bei wohlwollendem Zuhören im Sinne dessen, der die Aussage macht, richtig verstanden werden kann. Im normalen Alltag haben wir also keine Probleme mit diesen Sprachunschärfen. Wir bewerten Sprachunschärfen, die sich gar nicht vermeiden lassen, nicht als Fehler im Sinne von Lügen oder Täuschung. In der Regel ist die Aussageabsicht, die hinter unscharf formulierten Sätzen steht und die sich aus dem Kontext ergibt, das entscheidende, um den Sinn einer Aussage zu verstehen. Genauso ist es beim Umgang mit biblischen Aussagen. Auch hier ist die Aussageabsicht das entscheidende Kriterium, nicht der Buchstabe oder einzelne Wörter oder Zahlen, die ja ohnehin nur eine Übersetzung aus dem Urtext darstellen. Hier liegt nach meiner Einschätzung das Hauptproblem der liberalen Theologie im Umgang mit den scheinbaren Widersprüchen. Als Gegner einer Ganzinspiration ist sie immer bestrebt, Widersprüche zu finden, um damit ihre atheistisch gefärbte Hermeneutik- die Bibel sei nur Menschenwort- zu untermauern. Sie ist nicht bereit, eine heilsgeschichtliche Einheit zu akzeptieren, und wird dadurch zu falschen Ergebnissen kommen. Scheinbare Widersprüche werden zur Grundlage für eine Theologie, die in der Bibel nur noch ein Konglomerat von sich widersprechenden menschlichen Einzelansichten sieht, um sich schließlich selbst als Richter über (r)echt und un(r)echt inthronisieren zu können. In vielen Bibelauslegungen von historisch kritischen Theologen bekommt man den Eindruck, eine gute Exegese bestehe darin, die Widersprüchlichkeiten in einem Text zu finden und damit eine weitere Bestätigung für die Unechtheit der Bibel präsentieren zu können. Genauso bekommt man manchmal das Gefühl, jeder neu entdeckte Fehler werde mit dem Erfolgserlebnis eines Kindes verarbeitet, das in einem Suchbild die Fehler findet. Man reitet auf Sätzen rum, anstatt sich vom Textzusammenhang tragen zu lassen.
Aus dem bisherigen wäre also abzuleiten: Die Bibel enthält vom Menschen aus betrachtet vielleicht mathematisch- formalistische „Fehler“, wie oben gezeigt. „Fehler“, die im Wesen der Sprache selbst begründet sind, die auf sprachlichen Ungenauigkeiten oder auf der Unvollkommenheit der menschlichen Gedächtnisleistung oder auf einer unterschiedlichen Wahrnehmung beruhen. Viele dieser angeblichen Widersprüche berühren aber die eigentliche Aussageabsicht des Textes überhaupt nicht, sodass ich sie im Sinne der Heiligen Schrift gar nicht als Fehler bezeichnen kann. Sie würden auch in juristischer Hinsicht nicht als wirkliche Fehler bewertet werden. Ich kann solche Ungenauigkeiten vom kritischen Standpunkt aus als Irrtümer ansehen oder ich sehe sie vom Standpunkt einer inspirierten Schrift nur als scheinbare Widersprüchlichkeiten an. Eine ganz andere Kategorie von Irrtümern und Widersprüchlichkeiten haben wir im 2.Teil meiner obigen Ausführungen kennengelernt. Hier wurden Beispiele von angenommenen Widersprüchen in der Aussageabsicht der Autoren angeführt. Derartige Irrtümer würden der Vertrauensbemühung Gottes in seinem Wort völlig entgegenstehen und damit tatsächlich die Inspirationslehre zerstören. Nach ihrem Eigenverständnis setzt die Bibel auch Irrtumslosigkeit bezüglich der Vertrauensbemühung Gottes voraus, wenn sie von absoluter Verlässlichkeit spricht. Ein weiterer Aspekt kommt nach meiner Einschätzung noch dazu: Das Verstehen seines Wortes bzw. der Glaube vollzieht sich nach meiner Einschätzung auf 2 Ebenen, die aufeinander aufbauen: Die untere Ebene ist die Ebene meines Verstandes bzw. die Ebene des kognitiven Verstehens: Jeder Mensch kann das, was dasteht, verstehen. Dazu brauche ich keine besondere Begabung oder Ausbildung. Auch ein Ungläubiger kann einen Text nach menschlichen Kriterien richtig einordnen. Ob er das glaubt, was er verstanden hat, ist eine andere Sache, Die 2. Ebene ist die Ebene des Heiligen Geistes, der das, was ich kognitiv verstanden habe in eine innere persönliche Beziehung zum Gesagten, in ein Ergriffensein oder in eine positive Reaktion transformiert. So kann Glauben nie nur darin bestehen, Glaubensaussagen oder ein Lehrgebäude als richtig anzuerkennen. Gott zielt mit seinen Vertrauensbemühungen immer auf ein persönliches Beteiligtsein, eine konkrete Reaktion, eine Antwort. Glauben ist nicht die unbeteiligte Zustimmung zu Glaubensinhalten. So wie ich nicht schon verheiratet bin, wenn ich erkannt habe, dass jemand zu mir passt. Glauben ist immer ein persönliches Sich- Einlassen auf das, was ich kognitiv verstanden habe. Andererseits hätte aber auch ohne die kognitive Dimension des Verstehens der Heilige Geist keinen Ansatzpunkt, keine Grundlage mehr, auf die er aufbauen kann. Die Gefahr wäre groß, in einen reinen Gefühls- und Erfahrungsglauben abzugleiten. Teilweise geschieht das in extremen charismatischen Kreisen. Es gäbe dann kein Kriterium mehr, die Geister zu unterscheiden. Beide Ebenen des Verstehens gehören bei der Weckung des Glaubens also zusammen und sind nicht zu trennen. Wenn das stimmt, was hier gesagt wird, dann bedeutet das aber auch, dass Gott keine Irrtümer in seinem Wort zulassen kann, weil sowohl das kognitive Verstehen als auch das darauf aufbauende Wirken des Heiligen Geistes, das mich zum Glauben führt, nicht mehr möglich ist. Man könnte es auch so sagen: Wenn der Weg zum Glauben über das Verstehen seines Wortes und über das Wirken des Heiligen Geistes führt, dann wird er diesen Weg freihalten, indem er keine Widersprüche zulässt. Wir halten also nochmal fest: Die Bibel ist irrtumslos bezüglich seiner Aussageabsichten.
Zusammenfassend lässt sich nun sagen: Die Bibel spricht selbst nicht von Irrtumslosigkeit, wohl aber von absoluter Verlässlichkeit. Wir dürfen ihr nach ihren Selbstaussagen unterstellen, dass sie Irrtumslosigkeit bezüglich ihrer Aussageabsicht voraussetzt. Würde die Bibel Irrtümer und Fehler aufweisen, würde das das kognitive Verstehen und damit auch das Wirken des Heiligen Geistes beeinträchtigen. Fehler würden die Vertrauenswürdigkeit Gottes belasten, sodass Gott keine Fehler zugelassen haben kann. Wenn ich trotzdem Fehler oder Widersprüche finde, dann kann das sehr unterschiedliche Gründe haben, wie wir oben gesehen haben. Viele vermeintliche Widersprüche haben jedoch menschliche Gründe und entstammen eher einem subjektiven menschlichen Maßstab. Sie sind daher eher im Betrachter begründet als in der Bibel selbst. Eindrücklich zeigte uns das der Kommentar eines profanen Historikers. Beim Lesen der Bibel würde immer ein Misstrauen mitschwingen, kann ich dem, was dasteht nun vertrauen oder nicht? Hier zieht man sich schnell auf eine Haltung zurück, in der man heilsnotwendige Aussagen als irrtumslos stehen lässt, und naturkundliche oder historische Aussagen preisgibt. Dabei wird allerdings grundsätzlich übersehen, dass in der Bibel alle heilsnotwendigen Lehren eng verzahnt sind mit historischen Begebenheiten. Gott hat die Geschichte durch sein Handeln verändert. Die Frage ist auch, ob ein Verlust der geschichtlichen und naturkundlichen Dimension bzw. Irrtümer nicht gerade das Vertrauen in Gottes Hilfe in meiner erfahrbaren, persönlichen Lebensgeschichte oder in meiner körperlich-naturkundlichen Not beeinträchtigen würden? Oder positiv: Wäre es nicht wesentlich ermutigender, wenn die Schreiber tatsächlich geschehene und erfahrene Ereignisse aufgeschrieben hätten? Gott wäre ein grausamer Gott, wenn er zwar um Gehorsam oder Vertrauen werben würde, andererseits aber Irrtümer in seinen Aussageabsichten zulassen würde. Er hätte seine Vertrauensbemühung selbst untergraben.
Zum Schluss möchte ich noch auf eine wichtige Frage eingehen, die wir uns vielleicht immer wieder gestellt haben. Wenn wir beim Lesen biblischer Texte immer wieder auf vordergründige Widersprüche stoßen, dann muss es einen Grund dafür geben. Dieser Grund liegt in der Wirklichkeit Gottes begründet. Schon beim Versuch, die Komplexität des Menschen und insbesondere das Ich-Bewusstsein zu erklären, scheitern wir. Wieviel mehr trifft das auf die Wirklichkeit Gottes zu? Alle Vielfältigkeit der Sprache reicht niemals aus, die Größe und Faszination Gottes nur annähernd zu beschreiben. Trotzdem hat uns Gott in seinem Wort einen kleinen Teil seines Wesens und vor allem all das mitgeteilt, was für unseren Glauben und unser Heil notwendig ist. Beim Lesen seiner Mitteilung merken wir aber, dass sich die Glaubensinhalte nicht in ein geschlossenes logisches System pressen lassen. Es ist nicht möglich, aus seinem Wort ein spannungsfreies für uns Menschen völlig widerspruchfreies Lehrgebäude zu erstellen. Wer diese Spannungen auflösen wollte, würde sich in einem Netzt von ständig neu sich ergebenden Widersprüchen verfangen. Schon zugleich von einem ewigen Gott zu sprechen, der alles in allem ist, und ihn als Person, die eigentlich Grenzen haben müsste, anzusprechen, können wir logisch nicht erklären. Oben habe ich die Doppelnatur Jesu angesprochen. Auch Jesus, der in seiner irdischen Körperlichkeit trotzdem die ganze Fülle der Gottheit in sich hatte, lässt sich schlüssig nicht fassen. Und trotzdem ist es möglich, dies alles irgendwo zu denken, weil wir von Gott die geistigen Voraussetzungen dafür bekommen haben. Dieses Denken ist jedoch begrenzt. Wir können viele geistliche Dinge nur annäherungsweise erfassen, wie wir auch die Fläche eines Kreises nur annäherungsweise berechnen können. Für die Praxis des Glaubens spielt es jedoch ebenso keine Rolle wie für die Praxis der Berechnung einer Kreisfläche. Einen Fehler würden wir allerdings machen, wenn wir alles wegstreichen würden, was unserem logischen Denken widerspricht, wie es auch ein Fehler wäre, vordergründige Widersprüche zum Anlass zu nehmen, die Bibel umzudeuten oder sie an unsere menschlichen Ansprüche anzupassen, wie es in der HKT üblich ist. Nicht nur in der frühen Christenheit (Arian oder Pelagius) auch in der späteren Christenheit haben Sekten immer wieder versucht, ein einfacheres oder ein vernünftigeres Gottesbild zu entwerfen. Sie konnten sich nie durchsetzen, weil die Heilige Schrift entgegenstand. Die vordergründigen Widersprüche lassen uns also auch erkennen, dass wir es mit einem Gott zu tun haben, der nicht einfach eine menschliche Projektion unserer frommen Wünsche ist, wie es Feuerbach behauptete, sondern der höher als unsere Begrifflichkeit ist. Vordergründige Widersprüche lassen sich in einem dialogischen Verhältnis, das das Mittel der menschlichen Sprache benützt, gar nicht vermeiden. Wäre uns ein starres Lehrgebäude lieber als eine Wahrheit, die sich aus der geschichtlichen und sprachlich unvollkommenen biblischen Begegnung mit dem lebendigen Gott ergibt? Der Glaube basiert zwar auch auf festem Wissen, auch auf wissenschaftlichen Daten, wenn man so will, aber seine tiefere Dimension erfährt er erst in einer persönlichen Begegnung mit dem in seinem Wort geoffenbarten Gott. Vordergründige Widersprüche können vielleicht eine schon vorher bestehende distanzierte Haltung verstärken. Für einen Gläubigen sind sie Zeichen einer lebendigen Beziehung zwischen dem ewigen Gott und den unvollkommenen Menschen.
Olof Gigon (1912-1998), klassischer Philologe
Literarkritik hat eine Tendenz zur Hypertrophie. Es ist nämlich möglich, jeden beliebigen Text so zu analysieren, dass er sich in ein Konglomerat von heterogenen Bruchstücken auflöst. Der Philologe ist in Gefahr, gewissermaßen ein mal òcchio zu erwerben und überall nur noch Unstimmigkeiten, Gedankensprünge und Stilbrüche zu entdecken …..Der Fehler, der dabei begangen wird, ist natürlich der, dass der Interpret stillschweigend vom Bild eines perfekt kohärenten, nach Form und Gehalt untadelig geschlossenen Textzusammenhanges ausgeht, als ob dergleichen in der historischen Wirklichkeit überhaupt zu finden wäre, abgesehen vielleicht von der mathematisch-logistischen Formelsprache, die aber nun gerade mit einer Sprache im geschichtlichen Sinne nichts zu schaffen hat.