Prophetie

Prophetie in der historisch- kritischen Theologie

Erfüllte Prophetie der Bibel war nach Gerhard Maier über 17 Jahrhunderte hinweg eine der stärksten Fundamente der christlichen Verkündigung. „Sie wurde für überzeugend genug erachtet, um die Autorität der Schrift zu begründen“. In viele evangelikalen Kreisen ist das bis heute so. Ganz anders ist dies jedoch in der historisch-kritischen Theologie. Eine echte Prophetie im Sinne eines Vorherwissens von zukünftigen Dingen entweder in Form von Ereignissen oder in Form von Geistesströmungen, sprich Verführungen, kann es in den Augen der liberalen Theologen nicht geben. Wer meine bisherigen Ausführungen aufmerksam gelesen hat, kann sich die Erklärung dafür herleiten. Die echte Prophetie ist ein Unterfall eines Wunders, also eines übernatürlichen Geschehens, was aufgrund eines weltanschaulichen Paradigmas abgelehnt oder zumindest äußerst skeptisch betrachtet wird. So ist auch die Vorhersage der Zukunft im Rahmen einer aufgeklärten Theologie nicht denkbar. Hierzu einige Kommentare aus Biblische Hermeneutik von Gerhard Maier: „Dass Jesaja in Hizkia`s Zeit die Weltherrschaft Babels und deren Uebergang an Meder und Perser vorausgeschaut (hat), gilt ihnen als unmöglich… Der Mensch befindet sich eingeengt zwischen den beiden Vorurteilen: Es gibt keine eigentliche Weissagung, und: Es gibt kein eigentliches Wunder.“ Corrodi, ein Schweizer Theologe (1781) formulierte: „Der Glaube an die Gabe der Prophezeiyung sei in der Gegenwart erloschen. Die Religion diene dazu, die Aufklärung des menschlichen Verstandes und Vervollkommnung des Menschen zu fördern. Dazu dann Gerhard Maier: „Im Rahmen eines vernünftigen und wahren Verständnisses hat eine aus der Transzendenz abgeleitete Prophetie keinen Platz mehr“. Was man an den Kommentaren von Corrodi gut sehen kann, ist die Verbindung der Ablehnung von Übernatürlichem und der Vernunft mit der Erwartung der menschlichen Vervollkommnung. Hier weht eindeutig der Geist der Aufklärung. Die Vernunft der Aufklärung braucht zum Fortschritt der menschlichen Moral alles Mystische nicht mehr. Sie ist jetzt selbst in der Lage, sich aus den Fängen eines obrigkeitsabhängigen Wunderglaubens zu befreien und das Gute im Menschen immer mehr zutage zu fördern. Prophetie ist überflüssig, weil der aufgeklärte Mensch seine Zukunft aus sich heraus kenne, indem er sie selbst in die Hand nehme. Dass dies keine von mir selbst konstruierte Sichtweise ist, sondern auf ausführliche Untersuchungen von Gerhard Maier zurückgreift, soll ein Kommentar von Gerhard Maier zeigen: „Wichtig für die Abschaffung der früheren Auffassung der Prophetie waren also zwei Hauptströmungen: die eine, vom Weltbild herkommende, sah im Rahmen eines natürlichen und vernünftigen Kausalzusammenhangs keine Möglichkeit mehr für eine übernatürliche Prophetie; die andere, vom Idealbild des Menschen her kommende, sah unter dem Zielpunkt der menschlichen Vervollkommnung keine Notwendigkeit mehr für eine solche Prophetie.“

Wie erklären sich nun liberale Theologen das Zustandekommen von prophetischen Weissagungen? Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Julius Wellhausen (1844 bis 1918), ein sehr prägender deutscher Theologe und Orientalist, war z.B. von Jesajas Prophezeiungen der Meinung: „Indem er Jahweh sprechen ließ, bewährte er eine durchdringende Kenntnis der Menschen und der Verhältnisse.“  Das heißt, was Jesaja hier an Prophetien weitergibt, hat er nicht von Gott offenbart bekommen, sondern ist das Ergebnis einer durchdringenden Menschen- und Situationskenntnis. Indem er sie Gott zuschreibt, unterstreicht er die Brisanz der angeblichen Prophetie und verleiht ihr noch mehr Autorität. Bei Ewald (auch nach Gerhard Maier) erwächst die Prophetie aus einem dem Menschen innewohnenden natürlichen Hang zur Zukunftserforschung. Bezüglich Jesu Vorhersage seines gewaltsamen Todes kommt man zur einfachen Erklärung, dass Jesus aufgrund der zunehmenden jüdischen Anfeindungen seinen Tod geahnt hatte. Wo aber solche Erklärungen scheitern, sind ganz konkrete Prophezeiungen, die man trotz bester Einschätzung der eigenen Situation, der Menschen oder der Zeitgeschichte nicht im Voraus wissen kann. Jesaja, der zwischen 740 und 701 im damaligen Südreicht wirkte, sieht in Jesaja 45 den ca.150 Jahre späteren Aufstieg des Perserkönigs voraus und nennt ihn sogar mit Namen -Kyrus. Diese Prophetie ist zu genau, zu konkret, als dass man sie aus dem Menschen selbst heraus erklären könnte. Wie geht man nun damit um? Ab Kapitel 40 hat nicht mehr Jesaja selbst geschrieben, sondern ein späterer Schreiber, der den Namen und den Aufstieg des Perserkönigs aus eigener Anschauung und am Ende des neubabylonischen Reiches kannte. Zu erkennen sei die unterschiedliche Verfasserschaft auch am Themenwechsel und am Sprachstil, wie es in meiner Stuttgarter Erklärungsbibel heißt. Wie plausibel diese Unterstellungen sind, darauf werde ich in diesem Kapitel nicht eingehen. Hier sei nur so viel erwähnt, dass die Annahme von unterschiedlichen Verfassern neue Hilfshypothesen erforderlich macht, um überhaupt bestehen bleiben zu können.   Mir war es hier lediglich wichtig zu zeigen, wie man in der historischen Kritik grundsätzlich mit konkreten Prophezeiungen umgeht. Es ist immer das gleiche Prinzip: Zunächst wird ein Wunder aufgrund eines weltanschaulichen Vorurteils für unecht erklärt, dann versucht man Kriterien im Text zu finden, die diese Ablehnung nahelegten und schließlich wird die Sache so dargestellt, dass nicht das Vorurteil die Ablehnung begründete, sondern die Kriterien. Für die nachträgliche Darstellung eines eingetretenen Ereignisses als Prophetie gibt es in der Theologie einen Terminus technicus (Fachausdruck für einen bestimmten Sachverhalt): Vaticinium ex eventu. (Vorhersage aus dem Ereignis). Den Tatbestand des vaticinium ex eventu nimmt man bei zahlreichen Prophezeiungen an, man denke an Daniel 9 bis 11 (geschrieben nach den eigenen Aussagen in der babylonischen Gefangenschaft), wo die 4 kommenden Weltreiche teilweise detailgenau vorausgesagt werden. Auch hier bedient man sich des Arguments eines späteren Schreibers, der unter dem Pseudonym von Daniel geschrieben haben soll. Dem Prophet Hesekiel wird von Wellhausen (s.o.) vorgeworfen, „er lebte in Reminiszenzen und Phantasien“ (Reminiszenz = wachgerufene Erinnerung an etwas). Schließlich sei noch die Prophezeiung der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Christus erwähnt- ebenfalls in den Augen der liberalen Theologen ein Vaticinium ex eventu. Dazu habe ich im Kapitel über die Wunderkritik ausführlich geschrieben. Nun möchte ich aber noch ein besonderes Augenmerk auf die messianischen Prophezeiungen im AT und deren Erfüllung in Jesus richten. Wie steht man in der Historischen Kritik dazu? Gerhard Maier zitiert in seiner biblischen Hermeneutik auf S.201 F.Hesse (1966): Vergleicht man das NT mit dem AT, dann ist das neutestamentliche Heilsgeschehen mit den alttestamentlichen Weissagungen einfach nicht zur Deckung zu bringen….die im AT angekündigte Zukunft wird niemals mehr ein Faktum werden“. Dies wird einen evangelikalen Leser sicher vor den Kopf stoßen. Er wird sich fragen: Wird von Matthäus nicht bei zahlreichen Ereignissen durch die sogenannten Erfüllungszitate bestätigt, dass es sich jeweils um die Erfüllung von alttestamentlichen Prophezeiungen handelt? Die 10 Erfüllungszitate werden alle eingeführt mit dem Satz: „Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht…“. Auchin den übrigen Evangelien findet man zahlreiche Hinweise auf erfüllte Prophetien des AT.  Nein, liberale Theologen lesen keine andere Bibel als jeder andere auch, aber hier wird argumentiert, dass die Evangelisten unter dem Eindruck eines wie auch immer gearteten Auferstehungserlebnisses tatsächlich in der Person Jesus den Messias gesehen und ihre Geschichten über Jesus im Nachhinein an diese Verheißungen angepasst hätten.  Der tatsächliche historische Jesus sei nicht identisch mit dem Jesusbild, das uns von den Evangelisten und Aposteln überliefert wurde. Die Prophezeiungen des Geburtsortes Jesu (Micha 5,1), der Jungfrauengeburt (Jes.7,1), des Einzugs in Jerusalem auf einem Esel (Sach.9,9), des Sühnetodes (Jes.53), um nur wenige von ca. 60 Hauptprophezeiungen auf Jesus zu nennen, sie alle habe man im Nachhinein auf Jesus gemünzt, zumal Jesus selbst nicht den Anspruch hatte, der Messias zu sein. (Siehe: Andreas Lindemann in einem Spiegelinterview) Der Vorgang ist also diesmal wenigstens zum Teil umgekehrt. Nicht die prophetischen Aussagen wurden an tatsächliche Ereignisse angepasst, sondern die Berichte über die Ereignisse wurden an die Prophetien angepasst. Ob sich die Geschichten tatsächlich so zugetragen haben, das kann bezweifelt werden oder zumindest für unwichtig erklärt werden. Eigentlich müsste man hier konsequenterweise schreiben, die Jesus- Geschichten können aus liberaler Sicht nicht wahr sein, denn sonst wären alttestamentliche Prophezeiung tatsächlich in Erfüllung gegangen, und was das bedeuten würde für die Grundaussagen der liberalen Theologie, werde ich später erläutern.  Was uns durch die genannten Beispiele aber erneut vor Augen geführt wird, ist die Tatsache in der HKT, dass das liberale Schriftverständnis und die Wunderkritik eng verbunden sind und sich gegenseitig stützen. Die Herabstufung der Bibel zum reinen Menschenwerk geht Hand in Hand mit einer Ablehnung von echter Prophetie. Es versteht sich von selbst, dass ich eine echte Prophetie nur ablehnen kann, wenn ich zuvor auch die Schrift als das geoffenbarte Wort Gottes in Frage gestellt habe, denn die Bibel will uns ja gerade demonstrieren, dass sie aufgrund ihrer erfüllten prophetischen Verheißungen zu Recht den Anspruch hat, göttliche Autorität zu besitzen.

 Nun zur Frage, wie plausibel es ist, dass die Evangelisten die Geschichten über Jesus manipuliert haben, um das vom AT gezeichnete Bild vom kommenden Messias mit ihrem verkündigten Jesus zur Deckung zu bringen. Man sollte sich zunächst bewusst machen, dass zur Zeit der Abfassung und Verbreitung der Evangelientexte viele Augenzeugen und Ohrenzeugen von Jesus noch gelebt haben. Als fromme Juden kannten viele die alttestamentlichen Hinweise auf den kommenden Messias. Falsche Geschichten wären also sofort als solche entlarvt und bekannt geworden. Aber man findet eben keinerlei Spuren eines Widerlegungsversuchs der Erfüllungszitate und anderer Verweise auf alttestamentliche Prophezeiungen. Die Tatsache, dass die Evangelisten und Apostel, fast alles Juden, gerade die christologische Erfüllung von alttestamentlichen Prophezeiungen zu einem ihrer erfolgreichsten Hauptargumente für ihren neuen Glauben machten, unterstreicht die Authentizität der Berichte. ( Siehe Erfüllungszitate Matthäusevangelium; Apg.2,25ff; 3,21ff) Hätte ein derartiges sich als falsch erweisendes Argument vor dem Hintergrund einer äußerst kritischen Leser- und Hörerschaft nicht sofort zur völligen Unglaubwürdigkeit der Befürworter geführt? Dabei waren die Juden damals zur kritischen Haltung gegenüber Prophetien vom AT her geschult. Vergl. Dazu 5 Mose.18 und 13.  Dass auch viele Schriftgelehrte zum neuen Glauben übergetreten sind, spricht dafür, dass das Argument der Erfüllung überzeugend war. Dazu Gerhard Maier: „Wir finden hier keine Spur jener Meinung, dass die sog. Christustatsache der Weissagung nicht entspreche oder die Weissagung sogar in concreto als falsch erwiese…. Bedenkt man, dass das alles keine heidenchristlichen Kunststückchen waren, sondern Argumentationsgänge, die von teilweise rabbinisch geschulten Juden… durchaus mit Erfolg angewandt wurden, dann kann man nicht mehr so leichten Herzens die These bejahen, das AT lasse sich mit der Weissagung des AT nicht zur Deckung bringen.“ Wir sehen also, dass eine Manipulation von Geschichten, um Jesus als Messias darzustellen, in einem kritischen jüdischen Umfeld nicht leicht möglich gewesen wäre. Abgelehnt wurde Jesus nicht wegen Lügen, die man ihm oder den Aposteln nachweisen hätte können, sondern weil man in ihm einen Verführer gesehen hat. Mt.27,63; vgl. 5. Mose 13). Bevor wir nun zur Frage kommen, was das alles bedeutet für die HKM. Möchte ich die verschiedenen von der Bibel selbst gegebenen Funktionen von Zukunftsprophetie darstellen.

1.Erfüllte Prophetie ist die Bestätigung dafür, dass der Prophet von Gott inspiriert ist:

 5 Mose 18 (Prophetengesetz) „…wenn der Prophet redet in dem Namen des HERRN und es wird nichts daraus und es tritt nicht ein, dann ist das ein Wort, das der HERR nicht geredet hat.“ 2.Mos 4,12: „Nun aber geh hin: Ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst. Jer.1,9: „… und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“ Jer.2,1: „Und des Herrn Wort geschah zu mir.“ Jes 21,10: „Was ich gehört habe vom HERRN Zebaoth, dem Gott Israels, das verkündige ich euch.“ Am.3,7:  Gott der HERR tut nichts, er offenbarte denn seinen Ratschluss seinen Knechten, den Propheten.“ Joh.15,15: „…denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.“

2. Erfüllte Prophetie ist die Bestätigung dafür, dass Jesus tatsächlich der von Gott gesandte Messias ist: Luk.24,27: „Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.“ Luk.24,44: „Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen.“Mt.26,56: „Aber das ist alles geschehen, auf dass erfüllt würden die Schriften der Propheten. Apg.3,18: „So aber hat Gott erfüllt, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat: dass sein Christus leiden sollte.“ Joh.5,46f: „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben.  Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“ Apg.10,43: „Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“ Man könnte die Reihe noch fortsetzen.

Erfüllte Prophezeiungen sind eine Bestätigung dafür, dass Gott tatsächlich hinter der Prophetie steht, also ewig und zeitlos ist.

4.Mos.23,19: „Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue. Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten?“ Jes.46,9.10: „Gedenkt des Vorigen von alters her, denn ich bin Gott, und sonst keiner, ein Gott, dem nichts gleicht, der ich zuvor verkündige, was hernach kommen soll, und vorzeiten, was noch nicht geschehen ist, und der ich sage: Was ich beschlossen habe, geschieht, und alles, was ich mir vorgenommen habe, das tue ich.“

Erfüllte Prophezeiungen bestätigen, dass AT und NT eine Einheit sind, hinter der Gott steht. Alle Prophezeiungen, die beide Testamente übergreifen, bestätigen natürlich, dass AT und NT eine Einheit bilden.

Erfüllte Prophezeiungen stärken den Glauben

Joh. 13,19: „Schon jetzt sage ich’s euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin. Röm.4,20: „Er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste aufs Allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun.“ (Vergl.Hebr.11,19)

Es gibt noch weitere Funktionen der Prophetie wie z.B. der Trost und die Wachsamkeit in der Endzeit, die Gewissheit, dass sich die Erlösung naht usw. Prophetische Aussagen im engeren und weiteren Sinn machen ca. ¼ aller biblischen Texte aus. Neben den messianischen Verheißungen, die sich alle in Jesus erfüllt haben (ca. 300 Einzelverheißungen) gibt es zahlreiche weitere Prophetien, die sich zum Teil schon im AT erfüllt haben, (Tyrus, Moab, Sidon, Babylonische Gefangenschaft, 4 Weltreiche zum Teil bis in kleinste Details hinein) neutestamentliche Prophetien (Zerstörung Jerusalems) und zahlreiche Prophetien auf unsere Zeit (Rückkehr des Volkes Israel; Staatsgründung 1948) sowie Prophetien, deren Erfüllung noch aussteht. Wenn wir all diese Weissagungen und Erfüllungen betrachten, dann stehen wir einerseits einer erheblichen Beweiskraft für die göttliche Autorität der Heiligen Schrift gegenüber, andererseits aber auch einer erheblichen Angreifbarkeit. Könnte man nachweisen, dass sich Prophezeiungen nicht erfüllt haben, wäre dies ein schwerer Schlag für ein bibeltreues Schriftverständnis. Genauso wäre aber auch ein Nachweis der Erfüllung auch nur einer konkreten Weissagung das Ende der HKT oder würde ihr theologisches Gebäude stark vom Einsturz bedrohen. Nehmen wir an, Jesus sei tatsächlich auf einem Esel in Jerusalem eingezogen, wie wahrscheinlich wäre es, dass dies jemand Jahrhunderte vorher vorausahnt? Die Wahrscheinlichkeit wäre äußerst gering. Wir haben vorher gesehen, dass es nicht leicht gewesen wäre, im jüdischen Umfeld ein geschichtliches messianisches Ereignis zu erfinden oder messianische Prophezeiungen eigenwillig zu Gunsten einer neuen Ideologie umzudeuten. Nun haben wir es aber mit zahlreichen messianischen Weissagungen zu tun, die sich in den Augen der Evangelisten und der Apostel erfüllt haben. Liegt hier nicht die Beweislast ihrer Behauptung auf der Seite der Gegner? Wenn sie aber stimmen- es gibt allen Grund dies anzunehmen- dann brechen viele Denkvoraussetzungen oder grundsätzliche Denkweisen der liberalen Theologen zusammen. Wir würden eben doch nicht in einem geschlossenen Ursache-Wirkungssystem leben. Übernatürliche Wunder und echte Prophetien wären dann doch möglich und würden massive Zweifel an einer Haltung aufkommen lassen, die übernatürliche Eingriffe a priori ausschließt. Nicht umsonst ist die erfüllte Prophetie mit der Tatsache der leiblichen Auferstehung Jesu zusammen eine der stärksten Argumente für die göttliche Autorität der Bibel. Eine historische Kritik, die entweder nur einem Teil der Bibel göttliche Autorität zubilligt oder nur sich einer Kerygmatheologie (nur die Botschaft ist wichtig, nicht das historische Ereignis) verpflichtet fühlt, müsste sich umso mehr fragen, wie sie diese Selektion noch rechtfertigen kann angesichts erfüllter Prophetien? Erfüllte Prophetie ist nicht nur geeignet, das Paradigma einer wunderfreien Weltanschauung zum Einsturz zu bringen, sondern auch die Theologie der Trennung von Glauben und Geschichte in Frage zu stellen. Was gäbe es für einen stärkeren Ausweis dafür, dass Gott die Geschichte lenkt, wenn nicht die erfüllte Prophetie? Sie ist das deutlichste Bekenntnis Gottes zum Anspruch, Geschichte zu schreiben. Prophetie ist der hochdotierte Scheck Gottes auf die Geschichte und die Erfüllung die Einlösung.  Alle Theorien der liberalen Kritik bauen auf einem generellen Zweifel an übernatürlichen Dingen und auf einer Kompatibilität mit vernunftgemäßen menschlichen Erklärungen auf, sodass eine erfüllte Prophetie den Rahmen der Denkmöglichkeiten sprengen würde, genauso wie die Auferstehung. Nirgends sonst treffen Gottes übernatürliche Wirklichkeit und die menschliche Scheinwelt, wenn sie die andere Seite ausklammert, so hart aufeinander wie in diesen beiden Komponenten. Aus diesem Grund sind die erfüllte Prophetie und die leibliche Auferstehung gleichzeitig das stärkste Fundament für den christlichen Glauben und das größte intellektuelle Hindernis für die HKT. An der Stelle sollte nochmal betont werden, dass das wunderkritische Paradigma nach den eigenen Aussagen der Bibelkritiker nicht auf einer empirischen Untersuchung der Wunderberichte beruht, also nicht auf nachgewiesenen Gegenbeweisen, sondern auf einer a priori Annahme, also auf einer Vorentscheidung, die man aufgrund ihrer für die Kritiker bestätigenden positiven Auswirkungen meint, treffen zu können. Ein typischer Zirkelschluss: Das Ergebnis wird nicht durch eine unabhängige Untersuchung bestimmt, sondern durch die Vorentscheidungen, die man getroffen hat. Bei einer empirischen Untersuchung von Wundern, und in unserem Fall nun von Prophetien käme man zu dem Ergebnis, dass sich Prophezeiungen in vielfacher Weise erfüllt haben. Das wunderkritische Paradigma ließe sich aufgrund einer empirischen Untersuchung nicht mehr aufrechterhalten. Dies stellt nach meiner Einschätzung ein klares Votum gegen den Anspruch der liberalen Theologie dar, wissenschaftlich zu sein. Die liberale Theologie sollte bereit sein zuzugeben, dass sie ihre Erkenntnisse nicht aufgrund wissenschaftlicher Daten erhält, sondern aufgrund unwissenschaftlicher Vorurteile, wenn sie eine empirische Untersuchung von Prophetien verweigert.   

Zum Schluss der Kommentar von Wilbur Smith (aus die Bibel im Test von Josh Mc Dowell S. 52):

Was man auch von der Autorität dieses Buches, das wir die Bibel nennen, und von seiner Botschaft halten mag, so besteht doch eine weltweite Übereinstimmung darüber, dass es in mehrfacher Hinsicht das beachtlichste Schriftwerk ist, das in den annähernd 5000 Jahren, die die Menschheit des Schreibens kundig ist, je verfasst wurde.  Sie ist das einzige menschliche Werk, in dem sich eine Fülle von Prophetien in Bezug auf einzelne Nationen, auf Israel, auf alle Völker der Erde, auf bestimmte Städte und auf das Kommen dessen, der der Messias sein sollte, befindet. Die Welt der Antike kannte viele Praktiken zur Bestimmung der Zukunft, bekannt als Wahrsagerei oder als Weissagung; aber in der gesamten Skala der griechischen und lateinischen Literatur- wenn sie auch Wörter wie Prophet und Prophetie gebraucht- können wir weder eine wirklich genaue Prophetie eines großen historischen Geschehens in der fernen Zukunft noch eine Prophetie über einen in der Menschheit erscheinenden Retter finden… Der Islam kann auf keine Prophetie über das Kommen Mohammeds hinweisen, die Hunderte von Jahren vor seiner Geburt gesprochen worden wären. Ebenso wenig können die Gründer irgendwelcher Kulte in diesem Land mit Recht einen Text des Altertums identifizieren, der ihr Erscheinen konkret voraussagte.   

Man müsste auch hier nochmal die Gegenfrage stellen. Die Autoren des alten Testamentes haben sich weit aus dem Fenster gelehnt, wenn sie Weissagungen auf hunderte oder sogar tausende von Jahren hinaus ausgesprochen haben. Wenn sie sich diese Prophetien selbst ausgedacht hätten, müsste man dann nicht erwarten, dass sie böse auf die Nase gefallen wären. Der Mut und die Selbstverständlichkeit oder die Überzeugung, mit der Menschen vor tausenden von Jahren derartige Prophezeiungen als Eingebungen Gottes aufgeschrieben haben und mit denen sie sich dem Spott und dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit für die Nachwelt ausgeliefert haben, ist ein empirischer Beweis zwar nicht für die göttliche Quelle selbst, doch zumindest für ihren tiefen Glauben an die göttliche Quelle solcher Prophezeiungen. Gleichzeitig müsste man sich jedoch fragen, wenn sie sich in ihrem Glauben an die göttliche Quelle geirrt hätten, würden dann nicht zumindest einige dieser Prophetien in der Nachwelt als klare fakenews entlarvt werden können? Wäre es dann nicht ein Leichtes für die Bibelkritiker, die es zu allen Zeiten gab, solche prophetischen Irrtümer auf den Präsentierteller zu servieren und den Gläubigen voller Genugtuung unter die Nase zu reiben: „Schaut her, hier erweist sich Euer Glaube an die Echtheit der Bibel als falsch! Dass dies nicht geschieht, jedenfalls nicht leicht geschehen kann und nur bei starken Winkelzügen an der einen oder anderen Stelle versucht werden kann, ist eine weitere empirische Bestätigung für ihren übernatürlichen Ursprung. Es gibt keinen einzigen eindeutig nachgewiesenen Fall einer falschen alttestamentlichen Prophetie. Vielmehr untermauert die Fülle an erfüllten Prophetien ihre Glaubwürdigkeit. Gerade die Vielzahl der Prophetien, die hier von kritischer Seite zur Disposition steht, macht es ihnen schwer, ihre Zweifel daran zu rechtfertigen. Rechtfertigen lassen sich diese Zweifel wiederum nur unter der Prämisse, dass es in einem naturalistischen Weltbild keine echte Prophetie geben kann. Wenn es sie doch gibt, dann erweist sich damit logischerweise die Prämisse als falsch. Wer Zweifel sät wird Zweifel ernten. Liberale Theologie, die Zweifel zum alles bestimmenden Faktor ihrer Untersuchungen biblischer Prophetien macht, sollte auch bereit sein, ihre eigenen Prämissen in Zweifel zu ziehen und zuzugeben, dass sie nichts Sicheres weiß. Letztlich müsste sie auch ihre eigenen Erkenntnisse genauso in Zweifel ziehen und aufhören damit, von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu sprechen. Nach meiner Meinung gibt es jedoch echte wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Echtheit biblischer Prophetien bestätigen. Ich habe sie oben im Zusammenhang mit empirischen Untersuchungen genannt. Die Erfüllung biblischer alttestamentlicher Prophezeiungen u.a in Gestalt von Jesus und in Gestalt von vorausgesagter vor unseren Augen sich abzeichnender geschichtlicher Entwicklungen (Staatsgründung von Israel 1948), ist wie kein anderes Zeichen eine wunderbare von Gott uns geschenkte Bestätigung der göttlichen Herkunft seines Wortes. An erfüllter Prophetie erkennen wir, dass Gott einen langen Atem hat. Aber er kommt am Ende doch zum Ziel. Gerade der lange Atem Gottes ist der Grund, warum wir so oft zweifeln. Wir Menschen wollen immer alles gleich. Wie kleine Kinder, die nicht warten können, so verhalten wir uns Gott gegenüber. Das liegt an der Perspektive. Die Prophetien auf den Messias haben sich aber nach langer Zeit doch erfüllt. Die Prophetien auf das Volk Israel haben sich aber nach langer Zeit doch erfüllt und werden sich weiter erfüllen, genauso wie das erneute Kommen Jesu auf diese Welt sich erfüllen wird. Zu wissen, dass Gott die Weltgeschichte allem Augenschein zum Trotz nach wie vor in seiner Hand hält und am Ende zu seinem wunderbaren Ziel kommen wird, stellt einen unsagbar großen Trost dar und verleiht einem eine heilige Gelassenheit, die durch nichts zu ersetzen ist. Ein wesentlicher Teil dieser gewaltigen Zukunftsperspektive ist der endgültige Sieg über das Böse in der Welt, der mit dem Kreuz und der Auferstehung Jesu eingeleitet wurde und mit der Wiederkunft unseres Herrn in Herrlichkeit in die Zielgerade eintritt. Dies und nicht weniger ist der Grund dafür, warum erfüllte Prophetien zum essentiellen Bestandteil unseres Glaubens und Lebens gehören. Erfüllte Prophetie ist die Bürgschaft für die Verheißungen, deren Erfüllung noch ausstehen. Eine Welt ohne erfüllte Prophetien wäre nicht nur geistlich viel ärmer, sie wäre unsicherer, angstvoller und perspektivloser. Die Menschheit wäre noch viel stärker auf sich selbst gestellt, müsste sie mit dem Gedanken leben, dass Gott die Menschheit sich selbst überlassen hat, wie dies in der deistisch geprägten liberalen Theologie versteckt propagiert wird. Erfüllte Prophetie ist ein Garantieschein dafür, dass Gott einen Plan mit dieser Welt hat, der am Ende vollständig eingelöst wird. Welche frohmachende Perspektive!