Gemäßigte Kritik

Viele Christen gehen den Weg der mehr oder weniger ausgeprägten gemäßigten Kritik. Ich behaupte, auch viele Pfarrer haben erkannt, dass man auf der Grundlage der radikalen Kritik keine Gemeindearbeit gestalten kann. Gemäßigte Kritik bedeutet: Dort, wo sie meinen persönlichen Glauben wenig tangiert, kann ich Kritik an der Bibel akzeptieren, wo sie jedoch zentrale Glaubensfragen betrifft, lehne ich sie ab. Gemäßigte Kritik ist immer ein Kompromiss zwischen Bibelkritik und Bibeltreue. Wo es mir vernünftig erscheint, stimme ich den Erkenntnissen der historisch-kritischen Theologie zu: Ob der Sintflutbericht nun tatsächlich historisch gelesen werden muss, das ist ja für meinen persönlichen Glauben nicht so entscheidend, ob ich aber an die Auferstehung Jesu glaube, das würde ich allerdings als essenziell, als unverzichtbar ansehen. Diese Haltung teilen viele Christen, auch im evangelikalen Lager. Meistens beruft man sich bei dieser Haltung auch auf die Bibel und deren Aufforderung, Frieden zu üben oder einander anzunehmen, wie Christus uns angenommen hat. Oder man verweist auf die theologische Auseinandersetzung zwischen Paulus und Petrus um das richtige Verständnis der Heidenmission, deren Lösung ebenfalls in einem angeblichen Kompromiss bestand. Hier stellt sich eine ganze Reihe von wichtigen Fragen, die ich nacheinander abarbeiten möchte?

Die erste und wichtigste Frage lautet: Ist eine Haltung, in der ich bibelkritische und bibeltreue Ansichten mische, intellektuell vertretbar?

Nach meiner Einschätzung ist diese Haltung intellektuell nicht vertretbar. Selbstverständlich will man Gottes Wort nicht kritisieren, also versucht man ein Kriterium zu finden, nach dem man zwischen unverbindlichem Menschenwort und ewig-gültigem Gotteswort unterscheiden kann. Gründlich nachgedacht, kommt man zwangsläufig in Teufels Küche. Man landet schnell dort, wo die historische Kritik am empfindlichsten zu kritisieren ist. Beim Kriterium der menschlichen Vernunft, die zum Richter über Gottes Wort wird. Man leistet unbewusst dem Vorschub, was man eigentlich vermeiden möchte. Wie wir vielfach gesehen haben, liefert uns die Bibel selbst kein Kriterium, also muss ich das Kriterium außerhalb der Bibel finden, und das kann nur die wissenschaftliche Vernunft sein oder die individuelle Erfahrung. Es nützt auch nichts, die Christologie gegen den Rest der Bibel auszuspielen so nach dem Motto: Hauptsache wir glauben an Jesus. Zu welchen intellektuellen Widersprüchen das führt, wurde ausführlich erörtert. Wie man es dreht und wendet, wir kommen jedes Mal auf den Punkt zurück, an dem wir eine außerbiblische Instanz der Offenbarung vorsetzen müssen. Entweder unser eigenes religiöses Empfinden oder eine menschliche Wissenschaft, die zwangsläufig wiederum von menschlichen Vorannahmen abhängig ist. Eine gemäßigte Kritik ist also aus evangelikaler Sicht angesichts ihrer gemeinsamen Grundeinstellung mit der radikalen Kritik intellektuell nicht vertretbar. Sie ist sowohl von evangelikaler Seite angreifbar als auch von der radikalen Kritik. Akzeptiert man die Kritik an der radikalen Kritik, kann ich nicht auf sachlicher Ebene die gemäßigte Kritik stehen lassen. Es wäre ein Widerspruch in sich, ein philosophisches Oxymoron. Man könnte es auch anders klar machen: Stellen sie Sich vor, sie befinden sich in einer Diskussion mit einem radikalen Kritiker. Dieser sei der Meinung, die leibliche Auferstehung sei keine historische Wahrheit, sondern sei nur theologisch zu verstehen. Sie wollen ihm aber klarmachen, dass das ganz wichtig ist für den Glauben. Wie könnten sie im begreifbar machen, dass die Tatsächlichkeit einer leiblichen Auferstehung wichtig ist, wenn sie auf der anderen Seite behaupten, bei der Jungfrauengeburt käme es nur auf die theologische Dimension der Erzählung an. Sie könnten sich nicht auf die Bibel berufen, denn die Bibel bezeugt beide Erzählungen als historische Ereignisse. Sie könnten sich nur auf die Erkenntnisse der HKT berufen, die sie aber im Falle der Auferstehung ablehnen wollen. Dieses Beispiel können sie auf alle historisch bezeugten Ereignisse in der Bibel übertragen, sie werden immer wieder auf das gleiche Problem zurückgeworfen. Oder von Gott her betrachtet müsste man sie kritisch fragen, wenn Gott die leibliche Auferstehung historisch verstanden haben will, wieso sollte er es dann beim Sintflutbericht oder beim Auszug aus Ägypten nicht auch tun wollen, obwohl alle Berichte auf der gleichen Ebene der Historizität erzählt werden. Bei all dem haben wir uns noch nicht mal mit der Wunderfrage beschäftigt. Bei der Wunderfrage stellt sich genau das gleiche Problem. In einem Fall, wie bei der Auferstehung, gestehe ich Gott zu, dass er ein übernatürliches Wunder tut. Im andern Fall spreche ich den Wundern die Historizität ab. Mit der Haltung der gemäßigten Kritik spielen sie den radikalen Kritikern voll in die Hände. Sie bestätigen damit die Richtigkeit der Denkvoraussetzungen der historisch-kritischen Theologie. Ich glaube, wir erkennen, dass eine gemäßigte Kritik, die Teile der Bibelkritik akzeptiert und andere ablehnt, in einen unlösbaren Konflikt mündet, und wenn man sie konsequent durchdenkt, den radikalen Kritikern nur Recht gibt.

2 Frage: Fordert uns die Bibel tatsächlich zum Kompromiss auf, wie oben kurz dargestellt?

Die Bibel kennt bezüglich ihres eigenen Schriftverständnis keine Kompromisse. Wie dargestellt, sieht sich die Bibel durchweg als das von Gott inspirierte Wort. Häufig besteht eine selbstverständliche Identität zwischen –Gott spricht– und- die Schrift sagt. Beides ist in der Bibel vielfach austauschbar, und zwar vor allem dann, wenn das NT über das Alte Testament redet. Auch Jesus sagt in der Bergpredigt, deren Antithesen („Ich aber sage Euch…“) manchmal als Beweis für eine Kritik Jesu am AT herangezogen werden: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (eine genauere Übersetzung wäre:- zu ergänzen bzw. zu erweitern, siehe auch fortschreitende Offenbarung). Jesus bekennt sich hier eindeutig zur vollen Gültigkeit des Alten Testamentes. Die Diskrepanz, die sich für Fragen der Reinheitsgebote, Zeremonialgebote oder der Todesstrafe und der Gewaltanwendung ergibt, kann mithilfe der biblisch bezeugten fortschreitenden Offenbarung, die sich nicht zuletzt auch in der Bergpredigt widerspiegelt, ohne weiteres aufgelöst werden. Trotzdem taten sich die Judenchristen damals und teilweise bis heute schwer, ihre vom AT bestimmten Traditionen einfach aufzugeben. Paulus geht darauf ausführlich ein und erklärt, was nun für Christen noch Gültigkeit hat und wo nun das neue geistliche Gesetz Jesu alte Traditionen überflüssig macht. Beispielsweise werden alle 10 Gebote aus 2.Mose 20 bis auf eine Ausnahme (Sabbatgebot) im NT in ihrer Gültigkeit bestätigt. Andererseits sind zum Beispiel die Feiertagsgebote, die Opferpraxis und die Speisegebote nach Kol.2 16 für Christen nicht mehr verbindlich. Auch die jüdische Verpflichtung zur Beschneidung und das Verbot des gemeinsamen Essens mit Heiden werden aufgehoben. Der Theologenstreit zwischen Paulus und Petrus entzündet sich genau am letzten Punkt, und zwar nicht deshalb, weil die Aufhebung des Verbots zwischen Petrus und Paulus strittig gewesen wäre, sondern weil Petrus nicht seiner eigenen Erkenntnis gemäß gehandelt hat. Man darf annehmen, dass Paulus und Petrus angesichts des biblischen Zeugnisses in diesem Punkt einig waren. Eine Spannung hat sich nur aufgrund der Haltung einiger falscher Brüder (aus dem Lager der pharisäischen Juden (Apg 15,5)), wie Paulus sie im Galaterbrief nennt, ergeben, die die Beschneidung aller Neu-Bekehrten und das Einhalten mosaischer Vorschriften, zu denen auch das Verbot der Tischgemeinschaft gehörte, gefordert hatten. In Apostelgeschichte 15 wird uns berichtet, dass man sich am Ende einigte. Deshalb ist es auch nicht zulässig, daraus eine Rechtfertigung für eine gemäßigte Kritik zu konstruieren. Außerdem würde dies zu einer unzulässigen Ausweitung der Bedeutung der Streitigkeiten in den ersten Gemeinden führen. Was also für uns verbindlich ist und was nicht, das wird uns von Paulus klar gesagt, das steht im Neuen Testament. Dafür brauche ich keine außerbiblische Erkenntnisquelle.

Dem modernen Gebot der Toleranz steht im neuen Testament ein vehementer Aufruf zum Festhalten an der gesunden Lehre und eine radikale Abgrenzung gegen Irrlehren gegenüber. Dies sollte auch den gemäßigten Kritikern zu denken geben. Wenn es um den Inhalt der Lehre geht, kennt Paulus oder auch Johannes keine Kompromisse. Sogar wenn ein Engel vom Himmel käme und ein anderes Evangelium predigte als das von Gott offenbarte und von den Aposteln bezeugte, solle man dem nicht folgen. Er spricht sogar von Verflucht-Sein (Gal.1), so sehr war Paulus von der Gültigkeit seiner Lehre überzeugt. Auch Timotheus schärft er in seinem letzten Testament, dem Timotheusbrief vor seinem Tod nochmal ein, sich zu hüten vor falschen Kompromissen. Paulus ruft uns zwar zur Einigkeit und gegenseitigen Annahme auf, gleichzeitig warnt er uns auch vor dem Einfluss von Irrlehren. Da eine Irrlehre immer dadurch gekennzeichnet ist, dass sie falsches mir richtigem vermischt, ist sie besonders gefährlich und braucht deshalb ein hartes Urteil. Auch die gemäßigte Kritik mag zwar eine fromme Intention der Vermeidung von Streitigkeiten beinhalten, trägt aber doch die Kennzeichen einer Irrlehre, indem sie Teile der radikalen Kritik übernimmt und sollte deshalb auch als solche gekennzeichnet werden. Gleichzeitig ist sie auch schwerer zu durchschauen, weil sie viel Wahres enthält. Sie übt deshalb ihren Einfluss sozusagen von hinten oder im Verborgenen aus, was die Gefährlichkeit noch mehr erhöht. Nur so kann man Paulus´ radikales Einschreiten für die Wahrheit erklären. Man kann den Apostelstreit oder andere Teile der Bibel nicht für eine gemäßigte Kritik instrumentalisieren, auch wenn dies in positiver Absicht geschieht.

Nun möchte ich wieder wie in anderen Kapiteln, andere Autoren, die sich mit der Frage der gemäßigten Kritik auseinandergesetzt haben, zu Wort kommen lassen. Einer dieser Autoren ist Dr. Helge Stadelmann, ehemaliger Direktor der freien theologischen Akademie in Gießen, die ich selbst mal durch einen dort studierenden Freund besuchen durfte. (Aus Evangelikale Theologie)

Der Theologe oder Christ, der gemäßigte Kritik betreibt, hat oft noch enorm viel biblische Substanz vorzuweisen. Das, wofür er positiv einsteht, ist oft hoch verdienstvoll. Und die gemäßigte-kritischen Punkte fallen häufig kaum auf. Nicht selten liegt die eigentliche Intention, der eigentliche Schwerpunkt bei solchen positiven Theologen auch gar nicht auf diesen Rest-Elementen gemäßigter Kritik…. (manch einer) hat sich tapfer durch ein vielleicht stark liberales Theologiestudium geschlagen, hat viele radikal-kritische Positionen als solche erkannt … und überwunden und doch sind gewissen Reste gemäßigter Bibelkritik bei ihm noch da. Vielleicht, weil er sie selbst als solche nicht erkennt, vielleicht weil er an diesen Punkten keine Alternative sieht. Insgesamt aber ist die Tendenz bei ihm positiv…… aber irgendwann wirft irgendein Punkt der biblischen Lehre oder des christlichen Ethos bei ihm Fragen auf; und er entscheidet sich das, was er als biblisch erkennt, nicht anzuerkennen, sondern in Zweifel zu ziehen. Vielleicht folgt ein zweiter und ein dritter Punkt. Alles ist noch im gemäßigten Bereich. Aber die Tendenz ist, sich Stück für Stück von biblischen Positionen zu emanzipieren. Der Weg mancher Kirchen und Freikirchen in einen zunehmenden Liberalismus hat so begonnen…Jede gemäßigte Bibelkritik schließt eine Grundsatzentscheidung in der Schrifthaltung in sich, den Verstand (zumindest grundsätzlich) der Schrift überzuordnen.

In allen Ausführungen haben wir gemerkt, dass eine Abgrenzung zwischen gemäßigter und radikaler Kritik weder von der Bibel noch von der intellektuellen Redlichkeit her möglich ist. Gemäßigte Kritik ist immer zugleich Einfallstor für radikale Kritik. Die Kritik bleibt nicht auf halbem Wege stehen. Von Seiten derjenigen, die die Bibel auf ein rein menschliches Wort reduzieren, müssen sich gemäßigte Bibelkritiker, die große Teile der Christologie stehen lassen, immer den Vorwurf der Inkonsequenz und der Widersprüchlichkeit gefallen lassen. Außerdem fällt bei gemäßigten Kritikern häufig ein großer Verlust an reichen Glaubensinhalten, die in der Bibel neben der Soteriologie (Lehre von der Rettung) ebenfalls vertreten sind, auf. Man glaubt zwar an die Erlösung, aber wo ist der Rettungseifer eines Paulus, wo ist die Faszination von schon erfüllter und noch zu erfüllender biblischer Prophetie? Wo ist das tiefe Vertrauen auf die Macht des Gebetes und die Freude über Gebetserhörungen. Wo ist die Begeisterung für das Bibellesen. Wo ist das Interesse für die Darstellung der Heilsgeschichte. Wo ist das praktische Rechnen mit Wundern. Wo bleibt der Aspekt des Glaubenskampfes? Wie ist das Verständnis der Heiligung? Wo ist die Praxis des Gebetes um Heilung? ( Man gibt sich zufrieden mit der Kreuzestheologie und der Seelsorge und dem Trost. Die Bibel hält allerdings weitaus mehr vor. Auch die genannten Punkte gehören zu einem ganzheitlichen Bibelkonzept, um einen Begriff aus der modernen Medizin zu gebrauchen. Ein ganzheitliches Bibelkonzept ist in der gemäßigten Bibelkritik nicht vorgesehen, da es ja gerade die nicht direkt christozentrischen Aspekte des Glaubens häufig wegkritisiert oder verwässert. Der gemäßigte Bibelkritiker solidarisiert sich häufig mit einer Bibelhaltung, bei der diese Faktoren als frömmelnd übertriebener Glaubenseifer in Frage gestellt werden. Spricht man gemäßigte Kritiker auf diese Aspekte an, fällt häufig eine relativierende Abwehrhaltung auf. Anstatt derartige Impulse freudig aufzunehmen, zieht man sich auf das Nötigste, nämlich die Soteriologie zurück, um niemand unter geistlichen Druck zu setzen. Die konservierenden Elemente sind gut, die herausfordernden werden relativiert. Die Bibel dient zwar als großes Trostpflaster, sie soll uns aber bitte im Trost nicht stören. Freilich dürfen diese Aspekte nicht dazu dienen, uns in unserem Stolz über andere Glaubensgeschwister zu erheben, aber es wäre genauso falsch, sie in falscher Demut zu ignorieren.  2. Petrus 1,3 ff:  Alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Kraft.  Durch sie sind uns die kostbaren und allergrößten Verheißungen geschenkt, damit ihr durch sie Anteil bekommt an der göttlichen Natur, wenn ihr der Vergänglichkeit entflieht, die durch Begierde in der Welt ist. So wendet allen Fleiß daran und erweist in eurem Glauben Tugend und in der Tugend Erkenntnis und in der Erkenntnis Mäßigkeit und in der Mäßigkeit Geduld und in der Geduld Frömmigkeit und in der Frömmigkeit Brüderlichkeit und in der Brüderlichkeit die Liebe.

Hier spricht Petrus sogar davon, allen Fleiß daran zu setzen. Hört man sowas heute noch in einer Predigt? Wenn wir die Herausforderungen, die die Bibel an uns stellt, weglassen, verlieren wir denn dadurch nicht einen großen Teil des Reichtums, der uns in Jesus und in seinem Wort zusätzlich neben der Rettung zuteil wird? In Wirklichkeit steckt hinter solchen Einstellungen der Einfluss der gemäßigten liberalen Theologie, die gerade die zusätzlichen Geschenke und Segnungen einer lebendigen Gottesbeziehung unterbelichtet. Gemäßigte Kritik ist also nicht nur in Gefahr, in radikalere Kritik zu münden, sondern auch den übrigen Reichtum einer lebendigen Beziehung zu diesem Jesus im Alltag zu verlieren.

Ein weiteres, meiner Meinung nach, schwerwiegendes Problem tritt in der gemäßigten Kritik zutage. Die gemäßigte Kritik besteht gerade darin, extreme Teile der Bibelkritik abzulehnen. Wenn ich als gemäßigter Kritiker nun erkannt habe, dass radikale Infragestellung der Echtheit vieler Berichte oder Wunder der falsche Weg ist, dann gehört es zu meiner Verantwortung, davor zu warnen oder auch öffentlich dagegen meine Stimme zu erheben. Genau diese Reaktion vermisst man aber grundsätzlich im Lager der gemäßigten Kritiker. Eher wird der Eindruck geschürt, als seien beide Wege von der Bibel her möglich und die Entscheidung liege im Ermessen jedes einzelnen Gläubigen. Es wird so getan, als sei es reine Geschmackssache, ob ich beispielsweise an eine leibhaftige Auferstehung oder ob ich nur an eine theologische Dimension der Auferstehung glaube, sprich, ob das Grab nun leer war oder voll. Man selbst glaubt zwar daran, aber man gesteht dem andern zu, auch auf dem Boden der Bibel zu stehen, wenn er sie ablehnt. Kann das eine von der Bibel her legitimierte Einstellung sein? Genau das ist das Problem bei Worthaus. Siegfried Zimmer und Thorsten Dietz, beides wichtige Referenten bei Worthaus, die beide nach ihren eigenen Aussagen an eine leibhaftige Auferstehung glauben, werben für ihre Plattform, auf der auch zwei andere Referenten (Helmut Breuer und Schreiber) die leibhaftige Auferstehung öffentlich leugnen dürfen. Das bedeutet, den Befürwortern komme es nicht darauf an, dass man an eine leibhaftige Auferstehung glaubt. Sie selbst glauben zwar daran, aber sie signalisieren mit ihrer passiven Haltung, dass es nicht wichtig ist, daran festzuhalten. Den Hörern wird damit eine indifferente Einstellung als legitim vermittelt. Thorsten Dietz als Theologieprofessor an der (ehemals) evangelikalen theologischen Hochschule Tabor in Marburg, sagte selbst, dass es nicht glaubensentscheidend ist, ob man nun an das leere Grab glaubt oder nicht. Es gebe keinen Platzhalter, wo man unterschreiben müsse. Das Beispiel des leeren Grabes könnte man auf zahlreiche andere wichtige Glaubensinhalte übertragen, genauso, wie ich die Einstellung von Thorsten Dietz zahlreichen gemäßigten Kritikern zuschreiben könnte. Als wäre die Bibel ein Steinbruch von Glaubensinhalten, in dem jeder nach seinem eigenen Gutdünken die Steine heraussucht, die ihm für sich selbst passend erscheinen. In einer politischen Partei hat man erkannt, dass man vom Parteiprogramm abweichende Meinungen einzelner Mitglieder nicht auf Dauer tolerieren kann, weil man sich sonst unglaubwürdig und angreifbar macht. In der christlichen Gemeinde leistet man sich die Toleranz auch der radikalen Kritik gegenüber. Paulus hat sich dem Markt der Möglichkeiten nicht angeschlossen und argumentiert im 1. Kor.15 ausführlich gegen die Auferstehungsleugner. Das Thema der leibhaftigen Auferstehung ist unabdingbarer Bestandteil des christlichen Glaubens. Ohne das leere Grab wäre der Glaube und seine Predigt vergeblich. Paulus meint hier auch nicht nur eine geistliche Auferstehung, wie es im Gesamtkontext deutlich wird. Der Auferstehungsglaube ist nach Paulus Dreh und Angelpunkt aller christlichen Lehre und die Grundlage für die Hoffnung auf unsere eigene einstige Auferstehung. Wenn die leibliche Auferstehung nicht entscheidend ist, was ist es dann, müsste man die gemäßigten Kritiker fragen. Hier spüren wir, in welche Schieflage auch die gemäßigte Kritik kommt, wenn sie sich nicht entschieden gegen die radikale Kritik abgrenzt. Verliert sie dadurch nicht auch ihre Glaubwürdigkeit gerade im Blick auf ihre Unterscheidbarkeit von der radikalen Kritik? Wir kommen nun auf die Anfangsfrage zurück. Nach welchem Kriterium will sie sich denn abgrenzen? Antwort: Es gibt keines, es sei denn, es ist rein subjektiv und deshalb intellektuell nicht überzeugend. Wäre es nicht überzeugender, einfach die ganze Bibel als offenbartes Wort Gottes anzuerkennen? Wäre es nicht an der Zeit, jegliche Form der Bibelkritik endlich als das zu bezeichnen, was es ist, nämlich eine menschliche Lehre, die auf atheistischen Denkvoraussetzungen aufgebaut ist? Wäre es nicht glaubwürdiger, uns bei Glaubensfragen nicht an zweifelhaften menschlichen Theorien zu orientieren, sondern an Erkenntnissen, die uns Gott in seinem Wort offenbart hat?  Eine objektive Wissenschaft, die sich nicht von vornherein einem offenen Weltbild verschließt, zwingt uns nicht zu einer gemäßigten Kritik, es ist eine falsche Hörigkeit einer Theologie gegenüber, die selbst getrieben wird von der Angst, ihren wissenschaftlichen Stolz und Anspruch zu verlieren.

Seit der Aufklärung gab es bezeichnenderweise keine Lehrzucht mehr. Ist das ein Zeichen dafür, dass man den Glauben an die Wahrheit aufgegeben hat, oder ist es gar die einzige noch geglaubte Wahrheit, dass es keine Wahrheit gibt? Wäre eine Reformation tatsächlich möglich gewesen ohne die Gewissheit der Reformatoren, ausschließlich in der Bibel verbindliche Wahrheiten für unser Leben zu finden? Ist nicht gerade dieses Vertrauen in eine absolut gültige Wahrheit, die uns in der Heiligen Schrift offenbart ist, die entscheidende Haltung, die die Kirche am Leben erhält? Wenn das zu bejahen ist, dann wäre es absolut ratsam, dieses Vertrauen nicht ständig zu schwächen durch die Einschläge der Kritik und sollten wir uns dann nicht vielmehr stark machen dafür, diesem Wort absolut zu vertrauen? Eine amivalente Bibelhaltung, wie sie in der gemäßigten Kritik zutage tritt und dabei offen ist für beide Seiten, kann hier nicht hilfreich sein. Vielmehr signalisiert sie gerade durch ihre offene Haltung, dass ihr die Toleranz Andersdenkender gegenüber wichtiger ist als das Vertrauen auf Gottes Wort. Dass dies unübersehbare Folgen hat für das Glaubensleben vieler Gemeinden, liegt auf der Hand. Man entfernt sich langsam aber stetig, Schritt für Schritt von den Aussageabsichten der Heiligen Schrift, bis man am Ende da steht, wo man ursprünglich in der gemäßigten Kritik nicht landen wollte, nämlich bei der radikalen Kritik. Gleichzeitig erweist man dem abnehmenden Gottesdienstbesuch einen Bärendienst, weil man zu spät erkannt hat, dass die Kirche nicht auf einem Meinungspluralismus aufgebaut ist, sondern auf dem Vertrauen auf Gottes verbindlichen Wort. 

Abschließend nochmal Helge Stadelmann: „Damit liegen die Probleme der gemäßigten Kritik offen zutage: Ihr Urdatum ist die Aufklärung; ihre Topinstanz die Vernunft; ihr Problem ein Inspirations- und Wahrheitsverständnis hinsichtlich der Heiligen Schrift, das das Selbstzeugnis der Heiligen Schrift nur in unzureichender Weise aufgreift und sich deutlich vom klassischen Schriftverständnis unterscheidet. Die Stärke der gemäßigten kritischen Theologen liegt in den Bereichen, in denen sie die heilige Schrift gelten lassen; ihre Schwäche da, wo sie die eigene Vernunft der Heiligen Schrift überordnen bzw. diese gar gegen die Bibel wenden. Evangelikale Theologie steht vor der Frage, ob es ihr und ihrem Gegenstand, der Heiligen Schrift angemessen erscheint, die Weichen in Richtung gemäßigter Bibelkritik und ihrer Voraussetzungen zu stellen: Wer die Weiche so stellt, hat eine Grundsatzentscheidung getroffen. Er hat das Verhältnis von Schrift und kritischer Vernunft so bestimmt, dass ihn nur noch subjektive Einzelentscheidungen und graduelle Unterschiede von extremen Formen der Bibelkritik trennen. Ihm scheint es zumindest im Grundsatz angemessen, auf göttliche Offenbarung mit menschlicher Kritik zu antworten. Reformatorische und evangelikale Theologie haben dies allerdings von Anfang an anders gesehen.“

Gemäßigte Kritik ist ein fauler Kompromiss. Sie führt uns auf einen falschen Weg, auf dem uns die Tiefe des Reichtums seiner Erkenntnis verborgen bleibt und der Segenstrom eines unbehinderten Vertrauens auf Gottes Wort versagt bleibt.

C.H. Spurgeon 1891: Wir wollen niemals versuchen, die Hälfte der Wahrheit dadurch zu retten, dass wir einen Teil von ihr wegwerfen. Wir wollen zu allem stehen oder zu nichts. Wir wollen eine ganze Bibel haben oder gar keine.“