Die historische Zuverlässigkeit der biblischen Geschichten sowohl des Alten Testamentes als auch des neuen Testamentes in Frage zu stellen, gehört heute zur „Grundausstattung“ der historisch kritischen Theologie. Was 1800 Jahre in der Kirche selbstverständlich war, nämlich zu glauben, dass in der Bibel über wahre Begebenheiten berichtet wird, wird heute in der historisch kritischen Theologie vielfach bestritten. Auch evangelikale Autoren haben heute kein Problem mehr damit, alttestamentliche Personen wie Adam und Eva, Abraham, Jona und Mose nur noch als literarische Figuren und als hilfreiche Legenden anzusehen. Man fühlt sich den angeblich modernen „wissenschaftlichen“ Erkenntnissen der historisch-kritischen Theologie verpflichtet und erkennt nicht, wie man sich damit an der Dekonstruktion der Vertrauensbasis der Bibel beteiligt.
Andreas Lindemann sagt in einem Spiegelinterview: „Dass es sich bei den Evangelien um Lebensbeschreibungen Jesu handelt […] wird seit Jahrzehnten von keinem ernst zu nehmenden Exegeten mehr behauptet.“ Die Suche nach dem historischen Jesus geht davon aus, dass die biblischen Geschichten in den 4 Evangelien uns nicht den wahren historischen Jesus zeigen, sondern einen von der nachösterlichen Gemeinde konstruierten Jesus. Das Ergriffensein der Menschen nach der Kreuzigung und der geglaubten Auferstehung habe dazu geführt, dass man Jesus viele Wunder und Taten untergeschoben sowie viele Aussagen kreativ in den Mund gelegt hat. Die biblischen Geschichten von Jesus sind also nur indirekte in der urchristlichen Gemeinde entstandene Zeugnisse seiner Taten und Wunder. So kommt es, dass es nahezu keine Aussagen und Berichte von Jesus in den Evangelien gibt, deren Echtheit nicht schon bestritten wurden. Die Kriterien für die Unterscheidung von echt und unecht wechseln dabei genauso, wie die Liste der unechten Jesu-Worte selbst.
Auf die Frage eines IDEA-Reporters, was denn nun an Jesus echt und was unecht sei, antwortet Klaus Berger, emeritierter Theologieprofessor in Heidelberg: „Eine typische Aussage historisch-kritischer Ausleger lautet: „Von Jesus wissen wir mit Sicherheit eigentlich nur, dass er gelebt hat… Das Ausscheiden vermeintlich unechter Jesus-Worte hat das Neue Testament zerklüftet. So war der Tübinger Neutestamentler Ernst Käsemann (1906-1998) der Ansicht, dass Jesus das Vaterunser nie gebetet habe. Das angeblich unechte ist in Wirklichkeit meist das ungeliebte. Die Entscheidung, was nun echt ist und was nicht, ist in einem so hohen Grade abhängig von Mode, Geschmack, Konfession und Zeitgeist, dass ich nur sagen kann: Die Suche nach der wahren Stimme Jesu ist für die Katz. Bei Käsemann ist es interessant, den emotionalen Hintergrund für seine Suche nach echten und unechten Jesus-Worten zu kennen: Er wollte die pietistische Frömmigkeit in Württemberg ausrotten. Das ist zwar kein wissenschaftliches Ziel, reichte aber aus, um die Bibel zu zerstören.“
An dieser Stelle wird deutlich, welche Substanz die theologische Wissenschaft hat. Wenn man behaupten wollte, dass die historisch kritische Forschung einen wissenschaftlich orientierten Menschen dazu zwinge, manche Jesu Worte als unecht zu deklarieren, dann wäre es völlig unverständlich, warum die Forschungsergebnisse von Forscher zu Forscher so unterschiedlich sind. Der Kommentar von Klaus Berger macht deutlich, dass viele Ergebnisse der historisch kritischen Forschung in Wirklichkeit keine wissenschaftlichen Ergebnisse sind, sondern vielfach auf von Geschmack und Weltanschauung abhängigen unbewiesenen Hypothesen beruhen. Man behauptet beispielsweise, dass nur solche Jesusworte als echt anzusehen sind, die nicht zu viel Ähnlichkeit mit dem nachösterlichen tendenziösen christologischen oder ekklesiologischen Glaubensverständnis bzw. Jesusbild aufweisen. Doch wer sagt uns, dass das stimmt. Diese Meinung beruht auf dem unwissenschaftlichen Vorurteil, dass die nachösterliche Christologie angepasst oder zurechtgebogen wurde. Es ist jedoch offensichtlich, dass nicht die Christologie voreingenommen angepasst wurde, sondern die Kriterien, an denen man die Echtheit misst. Markus Till schreibt an der Stelle: „Krasser kann man sein Misstrauen gegenüber der Überlieferungstreue der Urgemeinde kaum zum Ausdruck bringen. Nur auf Basis dieses Vorurteils wird verständlich, warum C&L (Conzelmann und Lindemann = Lehrbuchautoren) auch der Meinung sind, dass „Jesus keinen der in den synoptischen Evangelien erwähnten christologischen Hoheitstitel in Bezug auf seine eigene Person gebraucht“ habe. Im Klartext: Da können die Evangelisten schreiben, so viel sie wollen: Das sagt uns alles nichts darüber, wie Jesus sich eigentlich selbst sah. Trotz der vielen anderslautenden Bibelstellen hielt Jesus sich selbst wohl nicht für den Messias. Das zeigt: Diesen Evangelisten kann man aus Sicht von C&L ganz offensichtlich nicht vertrauen. Welche Auswirkungen die Behauptungen der historischen Bibelkritik auf das Jesusbild im Neuen Testament haben, werde ich später beleuchten.
Eng verzahnt mit dem in diesem Kapitel beschriebenen Kennzeichen der historisch-kritischen Methode ist die Behauptung, die Schreiber der Evangelien wollten gar keine historischen Berichte liefern. Dazu erneut ein Zitat von Prof Lindemann im Spiegel: „Es ist …. ein Missverständnis der biblischen Texte, wenn sie als Tatsachenberichte aufgefasst werden.“ Mit anderen Worten: Die Autoren der biblischen Texte wollten gar keine Tatsachenberichte schreiben. Ihnen sei es nur auf die geistlichen Inhalte angekommen und diese hätten sie eben in legendenhaften Erzählungen eingepackt. Armin Baum schreibt dazu:„Diese These halte ich für falsch. … Und es ist meines Wissens kein einziger antiker Leser nachweisbar, der den Evangelien eine historische Absicht abgesprochen hätte. Die christlichen Leser (von Papias bis Augustinus) haben den historischen Angaben der Evangelien zugestimmt; die nichtchristlichen Leser (wie Celsus, Galen und Porphyrius) haben ihnen widersprochen. Antike Stimmen, die behauptet hätten, die Evangelien wollten keine Tatsachenberichte sein, hat es nicht gegeben.“
Die obengenannte These widerspricht nach meiner Einschätzung eindeutig dem Selbstzeugnis der Autoren des Neuen Testamentes. Einige Zitate sollen dies untermauern. Joh:20:30 u.31: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ 1.Joh.1:1: Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben, vom Wort des Lebens-….. was wir gesehen und gehört haben , das verkündigen wir auch Euch… Lukas 1, 1-4: „Da es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben, wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind, habe auch ich’s für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, auf, dass du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist.“ Apostelgeschichte 1,1-3: Den ersten Bericht habe ich gegeben, lieber Theophilus, von all dem, was Jesus von Anfang an tat und lehrte bis zu dem Tag, an dem er aufgenommen wurde, nachdem er den Aposteln, die er erwählt hatte, durch den Heiligen Geist Weisung gegeben hatte. Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ Prof. Armin Baum schreibt dazu: „Die Prologe des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte unterscheiden sich so stark von den Anfängen antiker Epen, sind so eng mit den Prologen der antiken Geschichtsschreibung verwandt und inhaltlich so eindeutig historisch orientiert, dass an der Intention des Autors, Geschichte zu schreiben, nicht gezweifelt werden kann. Im lukanischen Doppelwerk erzählt kein von den Musen inspirierter Künstler, sondern ein sich auf Augenzeugen berufender Historiker.“ Auch Petrus legt ausdrücklich Wert auf die Unterscheidung zwischen erdachten Geschichten und tatsächlichen Begebenheiten:„Wir sind nicht irgendwelchen klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft Jesu Christi, unseres Herrn, verkündeten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe“ (2. Petrus 1,16). Hier schreibt jemand, dem es auf Historizität ankommt, dem es wichtig ist zu zeigen, dass er keine netten, mehr oder weniger erfundenen Geschichten erzählt, sondern von selbst erlebten Tatsachen berichtet. Übrigens schreibt hier jemand, der sich durchaus bewusst ist, dass man das von ihm Erzählte nicht einfach glauben wird. Er rechnet mit kritischen Lesern, weil er sich der spektakulären, herausfordernden Botschaft bewusst ist. 1.Kor.15,6: Danach ist er gesehen worden von mehr als 500 Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. In diesem berühmten Kapitel von Paulus über die Bedeutung der Auferstehung zeigt sich ebenfalls, wie wichtig den Autoren der Bezug zu erlebten Tatsachen war. An der Stelle möchte ich ein weiteres Zitat einer amerikanischen Literaturwissenschaftlerin, Holly Ordway, einflechten, die 2010 über ihre Verwunderung berichtet, als sie die Evangelien zu studieren anfing:„Ich las die Evangelienberichte und versuchte zu begreifen, was sie sagten. Ich musste eingestehen…, dass mir klar wurde, dass es Tatsachenberichte waren, nicht erfundene Geschichten. Ich war seit meinen Kindertagen vertraut mit Volksdichtung, Fantasy, Legende und Mythos und ich hatte diese Literaturgattungen als Erwachsene studiert; ich kenne ihren Tonfall, ihre Eigenarten, ihren Wortrhythmus. Keiner dieser stilistischen Fingerabdrücke tauchte in den Büchern des Neuen Testamentes auf, die ich las…“
Die Behauptung von Prof. Lindemann, den Schreibern des Neuen Testamentes sei es nicht auf Historizität angekommen, hat sich also als falsch erwiesen. Man braucht diese Behauptung allerdings, um an der Bedeutsamkeit der Aussagen des Neuen Testamentes festhalten zu können. Würde man zustimmen, dass die Autoren tatsächlich Erlebtes berichten wollten, gäbe es aus liberaler Sich nur zwei Möglichkeiten der Interpretation. Entweder die Autoren der Geschichten sagen die Wahrheit oder sie haben sich selbst getäuscht im Sinne von Halluzinationen bzw. frommen Einbildungen. Weil beide Möglichkeiten für einen historisch-kritischen Theologen nicht akzeptabel sind, wobei ich mir bei der zweiten Möglichkeit nicht ganz sicher bin, flüchtet man sich in die Behauptung, die Autoren des Neuen Testamentes wollten gar keine wahren Begebenheiten berichten. Ihnen sei es nur auf die theologischen Aussagen angekommen. Allerdings spürt man da die offene Wunde der fraglichen Begründung und des Selbstanspruchs der Evangelisten, die man mit viel theologischer Gelehrsamkeit und schwammigen Formulierungen notdürftig überdeckt. Sonst bliebe nur noch zuzugeben, dass unser Glaube auf einer reichhaltigen Sammlung von Unwahrheiten und Falschaussagen beruht, die man besser in die Tonne stampfen und zum Anlass nehmen sollte sich besser mit Mathematik oder Naturwissenschaften zu beschäftigen. Welchen Einfluss allerdings diese Sichtweise auch auf die theologischen Inhalte hat, werde ich später beleuchten.
Nun möchte ich mich dem Geschichtsverständnis im Alten Testament zuwenden. Was für den Umgang der historisch-kritischen Methode mit dem Neuen Testament gilt, das gilt für das Alte Testament noch viel mehr. Lässt man im neuen Testament manche berichtete Begebenheiten noch einigermaßen stehen, werden die Geschichten im Alten Testament mit der Planierraupe der historischen Kritik großzügig platt gewalzt. Im Alten Testament ist alles nicht historisch. Vieles enthalte vielleicht einen kleinen historischen Kern, aber im Großen und Ganzen haben wir es mit Legenden und Mythologien, die zum Teil wenigstens aus umliegenden Kulturen entliehen sind, zu tun. Allen voran natürlich die Urgeschichte mit den beiden Schöpfungsberichten. (1. Mose 1-11). Ich habe mal gelernt, dass man alle Texte, die sich auf die Zeit vor David beziehen, als nicht historisch ansieht. In der historisch kritischen Theologie geht man davon aus, dass die prähistorischen Texte sich langsam evolutionär entwickelt haben. Vom einfachen zum Komplexen. Im Laufe der Überlieferungsgeschichte wurden diese legendenhaften Erzählungen langsam verändert, an jeweils aktuelle Gottesvorstellungen angepasst, erweitert, um dann schließlich von einem Endredaktor in der heute zugänglichen Form zusammengefasst zu werden. Man glaubt, viele verschiedene, zum Teil sich widersprechende Quellen identifizieren zu können. Auf den wissenschaftlichen Gehalt dieser Vorstellungen im Detail einzugehen ist nicht Gegenstand dieses Kapitels. Die Frage dieses Kapitels lautet ähnlich wie dies zuvor beim Neuen Testament geschehen ist: Konnten und wollten die antiken Autoren überhaupt unterscheiden zwischen Geschichte, Legende und mythologischer Erzählung?
Thorsten Dietz schreibt: Die Ansicht, dass der Sintflutbericht historisch verstanden werden wolle, „schiebt dem Bibeltext eine Bedeutungsabsicht zu, die er nach allem, was wir über altorientalische Geschichtsschreibung wissen, nicht gehabt hat. […] Wir können den Autoren kein Geschichtsverständnis unterstellen, wie wir es heute kennen. Wir sollten die Autoren der Bibel nicht auf Fragen festnageln, die sich ihnen nie gestellt haben. Damit verfehlen wir den Sinn der Texte. […] Althistoriker zeigen, dass es in der Antike erst allmählich zu einer klaren Unterscheidung von geschichtlich, vorgeschichtlich, legendarisch etc. gekommen ist.“
Wenn man als Laie oder Hobby-Theologe mit den Aussagen der historisch-kritischen Sichtweise konfrontiert wird, wird man zunächst mal deutlich verunsichert. Wenn das stimmt, was behauptet wird, dann habe ich die Geschichten des Alten Testamentes falsch gelesen. Aber nicht nur ich, sondern die meisten evangelikalen Bibelleser heute und in den vergangenen 2000 Jahren hätten ein völlig falsches Bild von der Geschichtlichkeit der alttestamentlichen Texte gehabt. Hier stellt sich allerdings die Frage: stimmt das wirklich, oder ist es nur eine Hilfshypothese, um uns ein entmythologisiertes Schriftverständnis zu verkaufen?
Dazu Kenneth Kitchen als bekannter Ägyptologe und evangelikaler Christ, „1. Mose 2 und 3 lassen keine Anzeichen für das Genre … Dichtung erkennen. Der Text liest sich als Bericht über wirkliche Geschehnisse; er sieht aus wie ein Geschichtsdokument. Das heißt nicht, dass 1. Mose (oder sonst ein biblischer Text) Geschichte im modernen […] Sinn ist. Die antiken Autoren, die historische Geschehnisse aufzeichneten, nahmen sich die Freiheit, die Chronologie zu verändern und Zeitabläufe zu komprimieren – und jede Menge an Information wegzulassen, die ein moderner Historiker als wesentlich dafür erachten würde, ein “Gesamtbild” zu erhalten. Aber auch die antiken Geschichtsschreiber waren überzeugt, dass die Ereignisse, die sie beschreiben, tatsächlich geschehen sind.“ Kitchen argumentiert: „Wenn man 1. Mose 2-11 im Licht dessen liest, wie die alte Literatur des Nahen Ostens funktioniert, würde man, wenn überhaupt, schließen, dass 1. Mose 2-11 Ereignisse berichten, die tatsächlich geschehen sind – und das in einer “Hochform” mit viel bildhafter Sprache und chronologischer Verdichtung. Zusammenfassend sieht es also so aus, als sei es zu verantworten, 1. Mose 2-3 als Bericht eines tatsächlichen historischen Ereignisses zu verstehen.“ […]
Kenneth Kitchen, antwortet auf die These, dass die Sintflut- Erzählung (1. Mose 9) wie die Fluterzählungen anderer Kulturen als Mythos […] gelesen werden sollte, folgendes: „(Es) ist auch darauf hinzuweisen, dass im alten Nahen Osten Mythen NICHT historisiert wurden (d.h. als imaginäre ‚Geschichte‘ verstanden), sondern vielmehr die Tendenz bestand, Geschichtsereignisse und Personen mythologisch zu überhöhen …Es ist belegt, dass die ‚Mythen‘ des antiken Nahen Ostens nicht im Lauf der Zeit zu historischen Ereignissen wurden, sondern vielmehr umgekehrt historische Berichte sich allmählich in eher mythologische Geschichten verwandelten. Die Schlussfolgerung aus den genannten Kommentaren muss dann sein: Wenn ein Bericht im Alten Testament keine Merkmale eines Mythos aufweist und ich erkennen kann, dass es keine Tendenz zur Historisierung von Mythen gab, dann spricht das dafür, dass die Autoren tatsächlich Geschehenes berichten wollten. Zumindest würde es das Argument des fehlenden Interesses an Historizität deutlich schwächen. G. von Rad spricht im Hinblick auf den Schöpfungsbericht von einer„sauberen Aufschmelzung alles Mythologischen“. „der Text von Gottes Weltschöpfung … ist seinem Wesen nach nicht Mythos und nicht Sage, sondern Priesterlehre, d.h. uraltes sakrales Wissen“. Um es nochmal ganz klar zu sagen: Da die alttestamentlichen Texte keine Merkmale von mythologischen Erzählungen enthalten, würde das bedeuten, es waren keine ursprünglichen Mythen, die historisiert wurden. Es waren Geschichtsereignisse, die Geschichtsereignisse blieben. In antiken Quellen finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass dieses historische Geschichtsverständnis nicht nur in der Bibel, sondern auch bei vielen außerbiblischen Autoren sehr wohl vorhanden war. Dazu schreibt der Historiker Axel Schwaiger, der sich ausführlich mit historischem Geschichtsdenken befasst hat:
„Von allen antiken Geschichtstexten zu behaupten, sie könnten zwischen historisch und mythisch, Bericht und Legende nicht unterscheiden und wollten das auch gar nicht, offenbart eine sträfliche Unkenntnis antiker Historiographie. Natürlich gibt es solche Texte, aber man tut Männern wie Herodot (um 490-430 v.Chr.), Thukydides (ca. 460-399 v.Chr.) oder Hekataios von Milet (vor 550 v.Chr.) mit solchen pauschalen Abwertungen doch schon sehr Unrecht, da gerade sie ausdrücklich angetreten waren, die Geschichte von Legenden, Sagen und Mythen zu entschlacken und nach konkreten Gründen und Ursachen historischer Entwicklungen zu fragen. Hekataios‘ ‚Erdbeschreibung‘, Thukydides‘ ‚Peloponnesischer Krieg‘ und Herodots ‚Historien‘ erzählen zwar auch von Mythen der Völker, aber eben deutlich unterscheidend als deren Mythen – oft in Verbindung mit rationalen oder historischen Erklärungen dafür. So unterzog Hekataios beispielsweise die bis dahin vorherrschende sagenhafte epische Tradition einer radikalen rationalen Kritik und ging damit bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert einen entscheidenden Schritt in Richtung auf ein historisches Bewusstsein, das man heute allzu gerne ausschließlich für die Neuzeit reklamiert. Die Unterscheidung zwischen Mythen und tatsächlichem Geschehen, zwischen Legenden, Übertreibungen und echter Historie und das Fragen nach tatsächlicher Kausalität macht ihren hohen historiographischen Wert aus. Nicht von ungefähr gilt Herodot bereits in der Antike als ‚Vater der Geschichtsschreibung‘. Seine Methoden reichen von Quellenstudium und persönlichen Gesprächen über ausgedehnte Reisen und Nachforschungen vor Ort bis hin zu kritischer Reflexion und auf Wahrscheinlichkeit gegründete Vermutungen. Die Vorstellung, antike Autoren verarbeiteten ausschließlich eine ‚literarische Erzählkultur‘, die Historie und Mythos unreflektiert miteinander verband und – im Gegensatz zur modernen Geschichtswissenschaft – kein echtes Bewusstsein für die eigene Historizität und die der berichteten Geschehnisse hatte, kann so nicht mehr aufrechterhalten werden.“
Die zuletzt aufgeführten Ausführungen über das Geschichtsverständnis zur Zeit des Alten Testamentes zeigt einmal mehr, dass man sich nicht einfach auf die Thesen der historischen Kritik einlassen sollte. Es ist oft ein sehr einseitiger Blick und resultiert mehr aus den weltanschaulichen Prämissen als auf fundierten wissenschaftlichen Kenntnissen. Das weit verbreitete und oft leider unreflektiert und ohne genauere Begründung weitergegebene Vorurteil vom fehlenden Geschichtsbewusstsein und von der mangelnden Unterscheidung von Geschichte und Legende in der Antike ist in der generellen Form nicht haltbar. Es gab auch zur damaligen Zeit Autoren, die zwischen Geschichte und Mythos unterscheiden konnten und wollten. Wenn man die Frage nach der Geschichtlichkeit im alten Orient noch vor dem Hintergrund sieht, dass die Schreiber einen hohen Anspruch hatten, Wahrheit weiterzugeben, dann fällt es einem noch schwerer zu glauben, dass die Autoren des AT keine wahren Geschichten weitergeben wollten. Selbst wenn man den Menschen in der Antike ein mangelndes Interesse an Geschichte nachweisen könnte, ein mangelndes Interesse an der Unterscheidung von Fiktion und Factum, von Wahrheit und Lüge dürfte ihnen nicht zu unterstellen sein. Das Interesse an der Wahrheit hängt auch nicht so sehr, wie oft behauptet, von der Kultur ab, in der ein Mensch lebt, sondern ist im Menschsein schon selbst angelegt. Jeder Mensch kann bei sich selbst unterscheiden, ob er eine Geschichte erfunden hat oder ob er die Wahrheit sagt. Man bekommt manchmal den Eindruck, man wolle diese Fähigkeit den Menschen zur damaligen Zeit absprechen. In der Rechtsprechung damals wird man genauso bestrebt gewesen sein, bei Zeugenaussagen zu unterscheiden, was wahr und was falsch ist. Zwischen Historie und Mythos kann ich unterscheiden wie ich zwischen Realität und Traum unterscheiden kann. Da brauche ich kein bestimmtes kulturell geprägtes modernes Bewusstsein. Auch Legenden-Erzählungen und Märchen gab es damals bestimmt, bei denen die Erzähler sich der Fiktion bewusst waren. Der Mensch kann nun mal im Gegensatz zum Tier sich fiktive Geschichten ausdenken, weil er die Fähigkeit zur Fantasie hat. Dies sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen, wenn man behauptet, dass diese Menschen früher ein anderes Wahrheitsbewusstsein hatten. Generell zu behaupten, dass in den Erzählungen Fakten und Fiktion leichtfertig vermisch wurden oder dass es ihnen gar nicht darauf ankam, weil es damals so üblich war, scheint mir eher eine Hilfshypothese zu sein, um den eigenen Standpunkt zu rechtfertigen. (außer man behauptet, die Schreiber seien selbst bei mündlichen Überlieferungen fälschlicherweise davon ausgegangen, dass man Ihnen die Wahrheit erzählt hat). Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund vieler Bibelstellen im Alten Testament, die auf einen hohen Anspruch auf Historizität hinweisen. Nehmen wir einmal an, die übernatürlichen Wunder im Alten Testament seien tatsächlich passiert, dann wird es für einen Naturalisten oder Rationalisten, der übernatürliche Dinge ausschließt, zu einem erheblichen Missverständnis kommen. Er muss die Geschichten als Mythologie verstehen, um sein Weltbild zu erhalten. Insofern schließt sich hier wieder der Kreis. Weil es die Fähigkeit des Menschen zur Fantasie gibt und zur Mythenbildung, wird er hier schnell zu dieser Fähigkeit als Erklärung für die Geschichten greifen. So hängen auch die Skepsis an übernatürlichen Wundern und die Bereitschaft, alttestamentliche Texte als Mythen zu verdächtigen, eng zusammen.
Dr. Reinhard Junker von Wort und Wissen schreibt dazu: „Selbst wenn Prof. Zimmer recht damit hätte, dass die Antike Geschichte als unbedeutend ansah, würden die Verfasser der Texte des Alten und Neuen Testaments gerade dieser Sicht klar und ausdrücklich widersprechen. Denn die biblischen Autoren betonen genau das Gegenteil dessen, was Zimmer behauptet, nämlich dass es große Veränderungen mit nachhaltiger Wirkung gab und diese zum Verständnis der Gegenwart wesentlich sind. […] Die Geschichte erklärt, warum die Menschheit so ist, wie sie ist: eines Retters aus Sünde und Tod bedürftig. […] Die Israeliten hatten ein lineares Zeitgeschichtsbild und Gottes Handeln in Zeit und Raum war für sie von grundlegender Bedeutung. Daher sollten sie sich an die großen Taten erinnern, die Gott unter ihnen getan hatte (5. Mose 6,20-25). Dazu gehört selbstverständlich auch die Urgeschichte. Die Geschichte erklärt die jeweilige Gegenwart.“
Dr. Markus Till schreibt dazu: „Es fehlen die Argumente, warum die biblischen Autoren keine reale Geschichte schildern wollten, wenn doch ihre Texte in vieler Hinsicht historischen Charakter haben.“
Man könnte durch viele Bibelstellen belegen, dass dem AT die Geschichte wichtig war. Denke man nur an das erste und dritte Gebot im Dekalog. Im ersten Gebot wird auf den Auszug aus Ägypten verwiesen das dritte Gebot wird mit der Schöpfung in 6 bzw. 7 Tagen begründet. Oder an die Genealogien ( Stammbäume ) Mose 5 und Mose 11 mit Altersangaben sowie in den Chronikbüchern. Die ganzen Stammvätergeschichten sind ein einziger Beweis dafür, dass Gott in der Geschichte handelt. An diesen historischen Ereignissen wird sich eines Tages das ganze jüdische Leben, der ganze Glaube an Gott Jahweh ausrichten. Der jüdische Glaube wird nicht in erster Linie auf abstrakten Erkenntnissen oder logischen Tatsachen beruhen, sondern auf der kollektiven Erfahrungen des Handelns Gottes in Raum und Zeit. Stellvertretend für viele Geschichten im AT möchte ich hier die Begegung Moses mit Gott im brennenden Dornbusch ausführen (2.Mose,3). Mose wird von Gott beauftragt, das Volk Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten zu führen. Als sich schwach fühlender Mensch, der eine schwere Demütigung durch die Verstoßung aus seinem Volk und den Tausch des luxuriösen Lebens am Hofe des Pharao mit der harten Existenz in der Wüste hinnehmen mußte , fragt Mose nun berechtigterweise kritisch, wie er das dem Volk nun beibringen solle. Vor allem fragt er danach, auf was er sich berufen solle, wenn er vor dem Volk Israel stehe. Er fragt nach dem Namen Gottes. Die Antwort Gottes verblüfft auf den ertsen Blick. In der Oberstufe meines Religionsunterrichtes war das für mich eine der vielen Stellen, die ich nicht richtig verstehen konnte. Lange Zeit fragte ich mich, warum Gott sich hier nicht klar ausdrückt. Heute verstehe ich sie: Gott sagt: „Ich werde sein, der ich sein werde“. Was kann das anderes bedeuten, als dass Gott sich als Beistand und als Gestalter der Zukunft des Volkes Israel erweisen werde. Der Name Gottes ist das Programm, das er mit dem Volk im Sinn hat. Das Volk Israel wird schon sehen, was passieren wird, wenn es auf Gott, Jahweh vertraut. Gott wirbt um das Vertrauen Moses und damit des ganzen Volkes Israel, so wird das Vertrauen belohnt und die Verheißung erfüllt. Es ist das Grundmuster der Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Gott verspricht Rettung und der Mensch kann darauf eingehen oder nicht. Sowenig biblischer oder auch christlicher Glaube nur das theoretische Anerkennen einer Glaubenswahrheit ist, so wenig ist das Wesen Gottes nur eine gesitig- jenseitige Daseins-Dimension. Gott erweist sich als Helfer und als Retter, der konkret handelt in Form von praktischen geschichtsverändernden Ereignissen während der Mensch sich vertrauend und ebenfalls konkret handelnd auf Gottes Zusagen einlässt. Im Falle von Mose wird die Antwort Gottes zum Ausangspunkt einer Entwicklung oder eines Ereignisses, das die Geschichte wie kein anderes die Zukunft des Volkes Israel und damit der gesamten Welt bestimmen wird. Letztlich wird die Rettung des Volkes Israel wie alle Geschichten vorher und danach zum Ausgangspunkt für das Kommen Jesu und die Rettung von Sünde und Schuld, die ihrerseits ihren historischen Ursprung haben. Das Wesen Gottes ist also das eines zutiefst geschichtsträchtig Handelnden. Wer dies nicht anerkennt, der hat die Bibel nicht verstanden. Oder wer dies verdreht, der sollte sich darüber im Klaren sein, dass er damit nicht nur das biblische Selbstverständis, sondern das Wesen Gottes auf den Kopf stellt. Noch eine Tatsache kann man an diesem Beispiel sehr klar machen. Geschichtsereignisse, die Gott direkt gelenkt hat wie beim Auszug aus Ägypten werden zu Symbolen für das Kommen, Leben und Sterben Jesu. Jesus hat uns von der Herrschaft des Todes befreit. Viele alttestamentliche Geschichten sind Vorschattungen auf Jesus und Bedeutsamkeiten in seinem Leben. In der liberalen Theologie werden deshalb die wichtigen Elemente im Leben Jesu oft als nachösterliche Deutungen verstanden und als nicht historsich angesehen. Dem ist jedoch entgegenzusetzen: Als Gott, der über Raum und Zeit steht und der gleichzeitig in Raum und Zeit eingreifen kann und die natürlichen Enwicklungen verändern kann, der hat auch die Möglichkeit, Geschichte zu schaffen, die sich in weiser Voraussicht in seinem Heilspan für den Menschen als Vorschattungen auf seinen Sohn, Jesus Christus erweisen. Alttestamentliche historische Ereignisse sind deshalb nicht die alleinige Grundlage für die Deutung bestimmter Elemente im neuen Testament, sondern von Gott gesetzte Ereignisse um Jesus erweisen sich als entgültige Erfüllung von im AT von Gott geschaffenen und vorbereitenden Vorschattungen. Gott kann Geschichte schaffen, die gelichzeitig symbolische Bedeutung bekommt für künftige von Gott geschaffene Ereignisse. Die Tatsache, dass eine Geschichte in der Vergangenheit symbolische Bedeutung hat für eine spätere Geschichte bedeutet nicht automatisch, dass sie nicht historsich ist. Im biblischen Gottesbild kann eine vergangene Geschichte historisch und symbolisch sein. Diese Verbindung ist biblisch vielfach und selbstverständlich verankert.
Oft wird einem bei einer gegenteiligen Meinung erst bewusst, welche Meinung die Bibel zu einem bestimmten Thema vertritt. Bei der vorliegenden Frage nach dem alttestamentlichen Geschichtsbewusstsein wird jedem klar, dass der hebräische Glaube ein historisch begründeter Glaube war. Das Alte Testament ist durchzogen von Verweisen auf Gottes Handeln in der Geschichte. Da ist es mir völlig schleierhaft, wie Theologen das Gegenteil behaupten können.
Wir haben gesehen, dass das Alte Testament sich selbst historisch liest. Wie ist es nun mit dem neuen Testament. Hier ist auch ganz klar, dass das NT das AT historisch versteht. Auch die Autoren des Neuen Testamentes gehen selbstverständlich davon aus, dass die Menschen im Alten Testament wie Adam, Eva, Kain und Abel, Noah, Abraham , Mose usw. historische Personen waren.
Markus Till schreibt: „Für den Evangelisten Lukas waren Adam und Noah in gleicher Weise geschichtliche Personen wie David, Josef und Jesus, wie sein Stammbaum Jesu zeigt (Luk 3, 23-37). Für Petrus waren Noah und die Sintflut ganz selbstverständlich geschichtliche Realitäten (1Petr. 3, 20; 2Petr. 2, 5). In Röm 5,12-21 und 1Kor 15,20-22 hält Paulus Adam für ebenso geschichtlich wie Jesus.8 Diese Geschichtlichkeit ist sogar ein grundlegender Bestandteil seiner Theologie, wie Timothy Keller betont:„Wenn Adam nicht historisch ist, ist die ganze Argumentation von Paulus hinfällig. … Wer nicht glaubt, was Paulus über Adam glaubt, lehnt das Herzstück paulinischer Theologie ab.“
Für Jesus, dessen Lehre für alle Christen letzte Autorität hat, war Noah und die Sintflut ebenso real wie sein Wiederkommen (Matth. 24, 37-38; Lukas 17, 26-27). Im 11. Kapitel des Hebräerbriefs wird das Wesen des Glaubens anhand von Glaubenswagnissen alttestamentlicher Personen erklärt. Kain, Abel, Henoch und Noah werden dabei genau in der gleichen Weise betrachtet wie Abraham, Isaak, Jakob, Samuel und David. Könnte es sich trotzdem bei manchen dieser Personen um Figuren aus Gleichnisgeschichten handeln? Hätte der Hebräerbriefschreiber somit in seine Aufzählung von Glaubenshelden auch den barmherzigen Samariter einreihen können? Wohl kaum. Denn über den barmherzigen Samariter hätte er sicher nicht so wie über Abel geschrieben: „Durch den Glauben redet er noch, obgleich er gestorben ist.“ (Hebräer 11,4) Der barmherzige Samariter ist nicht gestorben – weil er nie gelebt hat.
Wir müssen nun zu einer enorm wichtigen Fragestellung kommen:
Wenn es sich bei den genannten Glaubenshelden des AT nur um literarische Figuren handelte, dann hätte uns Gott nur fiktive Figuren als Vorbilder vor Augen gestellt. Wenn Gott uns Vorbilder geben will, warum hat er dann keine realen Personen gebraucht? Hat es sie denn zur Zeit von Noah, Abraham und Mose gar nicht gegeben? (Das Argument der fehlenden Schreibfähigkeit scheidet aus). War es ihm damals noch nicht möglich, eine reale Person wie Jesus oder Paulus zu berufen, um der Menschheit seinen Willen mitzuteilen? Oder wenn er damals in die Menschheitsgeschichte wie heute eingreifen konnte, warum sollte er es nicht wie es in den Geschichten des Alten Testamentes zum Ausdruck kommt, auch tatsächlich getan haben? Wenn alles ganz anders war, warum hat er es uns dann nicht mitgeteilt, wie es wirklich war? Würde er tatsächlich erwarten, dass die modernen Menschen von heute ihren Glauben auf Legenden und Fiktion aufbauen und warum sollte er dies tun?
Nun möchte ich noch ein sehr schwerwiegendes Argument für die mangelnde Historizität in der Bibel vorbringen. Was ist, wenn sich die Faktizität der Geschichten wissenschaftlich zunehmend bestätigen lassen? Genau dies geschieht heutzutage. Die Theologie der Trennung von historischer Wirklichkeit und geistlicher Wahrheit ist in einer Zeit entstanden, in der es noch zu wenig wissenschaftlich fundierte Daten gab oder man von falschen wissenschaftlichen Daten ausging. Früher glaubte man, dass die Schreibfähigkeit zur Zeit Moses noch nicht ausgebildet war. Mose konnte also die 5.Bücher Mose gar nicht geschrieben haben. Inzwischen wurden zahlreiche Tontafeln mit Keilschriften im mesopotamischen Raum entdeckt, die von einer weitverbreiteten Schreibkunst vor 2000 vor Christus zeugen. Man fand in Ur in Chaldäa, der Heimat von Abraham, die Anfang des vorigen Jahrhunderts ausgegraben wurde, Schüler-Tafeln, auf denen sie lesen, schreiben und rechnen lernten. Auf einigen Tafeln aus dem 16. Jahrhundert vor Christus wurde der Name Abram gefunden, von dem man ebenfalls lange annahm, dass er eine rein literarische Figur sei. Wenn schon zur Zeit Abrahams die Schreibkunst verbreitet war, warum sollte man dann annehmen, dass ca.500 Jahre später Mose am ägyptischen Hof nicht auch zu schreiben gelernt hat? Seit der Veröffentlichung von Prof. Finkelsteins: „Keine Posaunen vor Jericho“, glaubte man endlich einen archäologischen Beweis gegen die Historizität des Auszugs des Volkes Israel aus Ägypten, um das Jahr 1200 in der Hand zu haben. Um 1200 habe es nachweislich keine befestigte Stadt Jericho gegeben. Wer sich mit dieser Thematik auseinandersetzen will, der sollte sich den Film: „Patterns of evidence“ anschauen, wo sich in beeindruckender Weise die wissenschaftliche Sicht der Dinge zugunsten der geschichtlichen Realität des Exodus verschiebt, wenn man nur das Datum des Auszugs auf ca.1400 vor Christus verlegt. Es fügen sich plötzlich viele berichtete Details zwanglos ein, wenn man bereit ist, andere wissenschaftliche Daten gelten zu lassen. Inzwischen hat man Hinweise auf den Namen Israel um 1400 gefunden. Es musste also schon ein eigenständiges Volk Israel zur damaligen Zeit gegeben haben. Auch Das Haus Davids ist mittlerweile hinreichend archäologisch bestätigt. 1993 hat ein Forscherteam in Tel Dan, im Norden von Israel, eine Stele gefunden, auf der das Königshaus Davids erwähnt wird. (A.Schick. Irrt die Bibel? S.33) Hierzu Prof. Bryant Wood, Direktor von Associates for Biblical Research: „In unseren Tagen vertreten die meisten Wissenschaftler, Archäologen und Bibelgelehrten eine sehr kritische Sicht in Bezug auf die historische Korrektheit von vielen Berichten in der Bibel. Die meisten (bibelkritischen) Gelehrten würden sagen, dass alles, was mit der Zeit vor den Königen zusammenhängt, einfach Legenden und Mythen seien. Hier kann Archäologie aber eine wichtige Rolle spielen. Schon oft haben neuere archäologische Entdeckungen die älteren kritischen Ansichten über die Bibel als falsch erwiesen. Viele Forscher haben gesagt, dass David und Salomo nie existiert haben und nun haben wir eine Stele, die David erwähnt. So kann Archäologie eine wichtige Rolle spielen, die Wahrheit der Schrift zu belegen, angesichts der Kritik, die heute aus den Reihen der modernen Gelehrten kommt.“ Der Fund dieses Steines (32 cm hoch und 22 cm breit) ist umso bemerkenswerter als er ein Gedenkstein, eine Siegesstele ist, die der syrische König nach seinem Sieg über Israel errichten ließ. Hätte man den Namen des Feindes tatsächlich einmeißeln lassen, wenn es nicht auch tatsächlich passiert wäre und wenn es nicht auch tatsächlich ein bedeutender Feind gewesen wäre? So wurden die Feinde des Königs Davids ungewollt zum archäologischen Zeugen der historischen Vergangenheit. Man kann die Reihe an archäologischen Befunden fortsetzen: Die Grundstruktur der Stadttore von Megiddo, Hazor und Gezer, die man im letzten Jahrhundert ausgegraben hat, deckt sich mit biblischen Angaben aus der Zeit Salomos. Man bezeichnet sie als symmetrisches Sechs-Kammer-Tor. (1.Kön.9:5 und Hes.40:10). So gibt es noch zahlreiche weitere archäologische Funde, die sich mit den geschichtlichen Angaben in der Bibel decken. Wie kann ich erklären, dass man sich auf der ganzen Welt Sintflutgeschichten erzählt, die mehr oder weniger große Ähnlichkeiten mit der biblischen Sintflutgeschichte haben, deren Abhängigkeit nicht zu leugnen ist. Nur durch einen gemeinsamen geschichtlichen Hintergrund. Die Maße der Arche Noah entsprechen den Anforderungen an die Schwimmtauglichkeit eines Hochseeschiffes, wie es erst im 19.Jahrhundert wieder in dieser Größe gebaut worden ist. Woher hatte Noah dieses Wissen? In der Paläoontologie bzw. in der Geologie ist man sich heute einig, dass viele Fossilien durch Flutkatastrophen entstanden sein müssen. Die Entstehung des Grand Canyon in Arizona lässt sich viel besser erklären durch große Flutbewegungen in kurzer Zeit als durch ein allmähliches Ausfräsen durch den kleinen Colorado-River über Jahrmillionen. Das sind zwar keine Beweise für die Sintflut, aber können durchaus als Hinweise auf die Historizität des Sintflutberichtes in der Bibel verstanden werden.
Auch für die Texte des NT könnte ich zahlreiche Beispiele für die Widerlegung ursprünglich geglaubter Fehler anführen. Zu behaupten, dass es unwissenschaftlich sei, an der geschichtlichen Realität alttestamentlicher und neutestamentlicher Berichte festzuhalten, ist schlicht und ergreifend falsch. Es gibt keine wissenschaftlichen, archäologischen, historischen oder wie auch immer gearteten Beweise dafür, dass die Berichte unecht seien und nur auf Legendenbildungen beruhen. Große Archäologen bestätigen jedenfalls, dass es keinen einzigen Befund in der Archäologie gibt, der die biblischen Berichte ernsthaft in Frage stellt. Im Gegenteil, viele ursprüngliche Annahmen, die die fehlende Historizität stützen sollten, sind heute eindrücklich widerlegt. Darüber hinaus wäre es erstaunlich, dass eine so reichhaltige Legendenbildung im Alten Testament, wie sie von liberalen Theologen postuliert wird, nirgends tatsächlich zu einem beweisbaren offensichtlichen Widerspruch gegen moderne Archäologie geführt hätte. Müsste man bei einem derartig ausgeprägten Material an Legenden und insbesondere bei der These des fehlenden Geschichts-Interesses, nicht erwarten, dass die Angaben sich wenigstens zum Teil widersprechen. Auch das Narrativ vom veralteten Weltbild (Scheibe und Käseglocke) im AT wird nicht richtiger dadurch, dass es ständig wiederholt wird. (Siehe Kapitel Irrtumslosigkeit). Die Evolutionstheorie bleibt trotz intensiver Evolutionsforschung in 150 Jahren eine Theorie, die wissenschaftlich nicht bewiesen werden konnte. Im Gegenteil, sie befindet sich in einer Erklärungsnot. Die Zahl der großen Wissenschaftler, die den Neodarwinismus für wissenschaftlich nicht mehr haltbar ansehen, wächst. (siehe: The Third Way im Internet) Leider werden derartige Kenntnisse von historisch kritischen Theologen oft ignoriert, oder man nimmt sie nicht besonders ernst. Bekanntlich halten sich alteingesessene Meinungen sehr hartnäckig, auch wenn sie längst widerlegt sind, insbesondere dann, wenn sie wie im Fall der HKT weitgehend institutionalisiert sind. Zusammenfassend kann man sagen, dass die gemachten Angaben nun keinen Gegenbeweis darstellen, das wäre natürlich zu einfach, aber eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Die Behauptung der fehlenden Historizität in der Bibel ist nicht wissenschaftlicher als die Behauptung des Gegenteils. Dessen sollte man sich bewusst sein und sollte dies sowohl in einem wissenschaftlichen Theologiestudium als auch im Religionsunterricht im Namen einer sachlichen und aufgeklärten Gesellschaft kommunizieren.
Nun zu einem häufig besonders von historisch kritischen Bibelauslegern vorgetragenen Argument:Andreas Lindemann schreibt: „So kann die Furcht aufkommen, die persönliche Glaubensüberzeugung werde beispielsweise durch die Infragestellung der historischen Zuverlässigkeit bestimmter Überlieferungen gefährdet. Dem steht die These gegenüber, Glaube und historische Erkenntnis gehörten grundsätzlich zwei verschiedenen Ebenen an.“
Andras Lindemann behauptet hier nichts anderes, als dass der Glaube völlig unabhängig sei von historischen Erkenntnissen. Man findet diese Ansicht sowohl bei theologischen Laien, bei Pfarrern, Religionslehrern als auch bei großen Theologen unserer Zeit. Ob die Geschichten in der Bibel so passiert sind oder nicht, darauf komme es doch gar nicht an. Der Glaube hänge doch nicht etwa davon ab, ob die Geschichten wirklich so passiert sind. Ob Jona tatsächlich 3 Tage im Bauch des Fisches war, oder ob das nur eine Legende ist, dadurch ändert sich mein Glaube nicht. Das mag im Einzelfall zwar stimmen, aber was passiert, wenn Erzählung für Erzählung langsam der Kategorie: Legende anheimfällt. Was passiert, wenn, die ganze Bibel als Legende deklariert wird. Wieviel Geschichte kann man aufgeben, um das Vertrauen in das Wort Gottes noch zu bewahren. Das will ich nun im weiteren Verlauf meiner Untersuchungen analysieren.
Prof. Andreas Lindemann hat hier eine eindeutige Antwort gegeben: Spiegel: „Wenn sich nahezu alles, was über Jesus in der Bibel steht, als unhistorisch erwiese, könnte es ihren Glauben erschüttern?“
Prof Lindemann: „Nicht im Geringsten! Zugespitzt formuliert ist es sogar umgekehrt wie gemeinhin angenommen wird. In der historischen Erforschung des Neuen Testamentes kann es immer nur Wahrscheinlichkeiten, nichts Sicheres geben, und man muss immer mit neuen Erkenntnissen rechnen, die ein Umdenken erfordern. Für den Glauben gilt dies nicht. Und vor allem kann ich ihn nicht davon abhängig machen, was wir historisch forschenden Theologen jeweils feststellen.“
Das ist vielleicht für meine Leser eine der härtesten Aussage eines protestantischen Theologieprofessoren und eines Lehrbuchautoren für Theologiestudenten. Der Glaube von Herrn Lindemann basiert nicht auf historischen Tatsachen. Der Glaube ist völlig unabhängig davon, ob das, was geglaubt wird, tatsächlich passiert ist. Es ist zu einer völligen Trennung von Glauben und geschichtlicher Wirklichkeit gekommen. Doch nicht selten bin ich in Glaubensgesprächen über die Echtheit der Urgeschichte oder des Sintflut-Berichtes oder des Turmbaus zu Babel auf ähnliche Reaktionen gestoßen: Ob das, was da berichtet wird, tatsächlich so geschehen ist oder nicht, darauf komme es doch gar nicht an. Viel wichtiger ist doch die theologische Aussage, die damit verbunden ist. Viele Geschichten seien Ausschmückungen eines mehr oder weniger ausgeprägten historischen Kerns.
Prof Lindemann und meine Gesprächspartner stellen sich hier eindeutig gegen die biblischen Autoren selbst, denen die geschichtliche Basis ihrer Aussagen enorm wichtig war. Kann man also auch glauben ohne Jungfrauengeburt, ohne die Wundergeschichten, ohne die leibliche Auferstehung, ohne Himmelfahrt ohne Wiederkunft. Das ist interessant. Nun an der Stelle würde manch einer sagen, die Jungfrauengeburt und die Wundergeschichten sind nicht so wichtig, aber die leibliche Auferstehung, da müsse man doch daran glauben. Vor kurzem hat mir ein gemäßigt liberaler Theologe gesagt: Die leibliche Auferstehung, die sei nicht verhandelbar. Damit wollte er sagen, über die Jungfrauengeburt und vor allem viele alttestamentlichen Geschichten kann man ja streiten, aber die leibliche Auferstehung dürfe man nicht streichen. Warum denn nicht? Und kann ich diese Frage nicht auch bei all den anderen in der Bibel gschilderten übernatürlichen Ereignissen stellen. Wenn die leibliche Auferstehung nicht verhandelbar ist, müsste ich dann nicht auch die anderen Wundergeschichten als nicht verhandelbar ansehen? Oder positiv ausgedrückt: Wenn Gott bei der Auferstehung in das Weltgeschehen eingreift, dann kann ich daraus schließen , dass er auch bei anderen Wundern eingreifen kann und will. Die Bedeutung all dieser Berichte ergibt sich doch nicht nur daraus, dass Menschen daran geglaubt haben, sondern dass sie von real existierenden Geschehnissen zeugen. Schon an der hier vorgestellten kurzen Diskussion spürt man, in welche theologische Nöte man gerät, wenn man anfängt darüber zu diskutieren, was in der Bibel echt ist und was nicht. Um nun zu einer Bewertung der o.g. Aussagen zu kommen, möchte ich einige Theologen und Wissenschaftler zu Wort kommen lassen.
Thomas Henry Huxley (1825-1895) war ein britischer Biologe und vergleichender Anatom, Bildungsorganisator und Hauptvertreter des Agnostizismus, dessen Begriff er prägte und durchsetzte. Dieser schrieb zu seiner Zeit: „Mir ist ziemlich unverständlich, wie jemand auch nur einen Augenblick bezweifeln kann, dass die christliche Theologie mit der historischen Glaubwürdigkeit der jüdischen Schriften steht und fällt. Das Verständnis vom Messias, vom Christus ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Juden…..Wenn der Bund mit Abraham nicht geschlossen wurde,…. wenn die „Zehn Gebote“ nicht durch die Hand Gottes in die Steintafeln geschrieben wurden, wenn Abraham mehr oder weniger ein mystischer Held ist wie Theseus, wenn der Sintflutbericht eine Fiktion, der Bericht vom Sündenfall eine Legende und der Schöpfungsbericht der Traum eines Sehers ist, wenn alle diese anschaulichen und detaillierten Erzählungen von scheinbar realen Ereignissen weniger Geschichtswert haben als die Geschichten aus der Königszeit Roms – was kann man dann über die messianische Lehre sagen, die so viel unverständlicher dargelegt ist? Und wie sieht es mit der Autorität der Schreiber des Neuen Testaments aus, die laut dieser Theorie nicht nur fadenscheinige Fiktion für fundierte Wahrheit hielten, sondern die christliche Lehre auf den Treibsand von Legenden gründeten?
Ulrich Parzany kommentiert in einem Interview bei Bibel-TV: „Ich bitte sie: Wenn Jesus den Sturm auf dem See Genezareth nicht wirklich gestillt hat, wie will ich dann wissen, dass er den Sturm meines Lebens stillen kann. Diese Doppelbödigkeit zieht uns den Boden unter den Füssen weg.“
Letztlich resultiert aus der Trennung von Glauben und Geschichte ein leerer Glaube. Es ist mehr ein Glaube an einen Glauben als ein Glaube an eine Person, es ist der Glaube an eine Idee, die sich einige Menschen ausgedacht haben. Viele Menschen haben gute Ideen. Warum glaubt man dann ausgerechnet an die Idee von Jesus? Weil er auch nach menschlichem Ermessen eine gute Idee vertritt. Alle biblischen Texte, die von Geschichten über die großen Taten Gottes berichten, wären überflüssig. Was übrig bleibt, ist ein freundliches: Seid nett zueinander. Jesus wird auf ein soziales Evangelium reduziert. Die Trennung von theologischer Wahrheit und historischer Wirklichkeit entzieht dem Evangelium und einer vertrauensvollen Beziehung zu diesem Jesus den Boden. Wer anfängt, an der Echtheit von manchen biblischen Geschichten zu zweifeln, wird niemals ein Vertrauen zu anderen Aussagen in der Bibel aufbauen können. Ich werde auch die Auswirkungen einer derartigen Theologie später noch genauer eingehen. Wer also die Auswirkungen verstehen will sollte dieses Kapitel aufmerksam gelesen haben.
Ein Student sagte nach einer Vorlesung zu Mc Dowell: „Aber Herr Mc Dowell, ob die Auferstehung stattgefunden hat oder nicht, das ist doch nicht die eigentliche Frage, sondern Glauben Sie, dass sie stattfand? Ich erwiderte: Es kommt sehr wohl darauf an, ob Christus wirklich auferstanden ist. Der Wert des christlichen Glaubens liegt nicht im Glaubenden, sondern im Gegenstand des Glaubens. Wenn mir jemand beweisen könnte, dass Christus nicht von den Toten auferstanden ist, dann hätte ich kein Recht auf meinen Glauben. Der christliche Glaube ist der Glaube an Christus. Seine Bedeutung bzw. sein Wert liegt nicht im Glaubenden, sondern im Geglaubten- nicht in dem Vertrauenden, sondern in dem Gegenstand des Vertrauens…… Paulus sagte: Ich weiß, an wen ich glaube. Das erklärt weshalb das christliche Evangelium die Botschaft von Christus ist….“ John Warwick Montgomery sagt: „Wenn unser Christus des Glaubens abweicht vom biblischen Jesus der Geschichte dann verlieren wir entsprechend zum Maß dieser Abweichung auch den echten Christus des Glaubens“. Einer der größten christlichen Historiker unserer Zeit, Herr Butterfield, drückt es so aus: „Es wäre ein gefährlicher Irrtum zu meinen, man könne die Wesensmerkmale einer historischen Religion bewahren, wenn der Christus der Theologen vom Jesus der Geschichte getrennt würde.“
Im Gegensatz zu den Thesen der liberalen Theologie ist das hebräische Denken an dem Handeln Gottes in der Geschichte und an der Offenbarung interessiert. Nicht nur das Denken im AT sondern auch das Denken im NT ist ein Denken in historischen Kategorien, ganz im Unterschied zum griechischen Denken, das mehr an der Weisheit, an der Stimmigkeit von Aussageinhalten interessiert war. Der Hebräer fragt in erster Linie, was geschehen ist. Die Bedeutung des Geschehenen ist unwillkürlich und untrennbar mit der Historie verbunden. Karl Baral: „Nicht die Bedeutsamkeiten oder allgemeinen Wahrheiten und Prinzipien stehen im hebräischen Denken am Anfang,-das wäre griechisches Denken-sondern die Frage nach dem, was geschehen ist unter der Voraussetzung, dass etwas geschehen ist, dass Gott in der Geschichte gehandelt hat. Und was trägt, sind nicht Gedanken und Wahrheiten, sondern Gott und sein Handeln… Es ist auch für die Bibelauslegung nicht richtig, die Historie in Bedeutsamkeiten oder Symbole oder zugunsten solcher den Charakter von Geschichtstatsachen einzuschränken. In der Bibel geht es um die großen Taten Gottes, die er in der Geschichte getan hat. Biblische Auslegung fragt zuerst: Was ist geschehen? Und dann erst: Was bedeutet das?
Die Trennung von Geschichte und Glaube ist neben der Wunderkritik ein großes und zerstörerisches Vermächtnis der liberalen Theologie. Sowohl der jüdische Glaube als auch der christliche Glaube ist ein geschichtlicher Glaube. Der Gott der Bibel ist ein Gott der Geschichte. „Ich werde sein der ich sein werde.“ Gott hat sich in der Geschichte offenbart, deshalb funktioniert der Glaube nur, wenn ich diese Geschichte ernst nehme. Ohne die zugrundeliegenden Geschichten verliert mein Glaube das Fundament. In Wirklichkeit steckt hinter der Trennung von Glauben und Geschichte ein anderes Gottesbild bzw. ein anderer Jesus. Gott ist nicht ein Handelnder, sondern nur noch ein Beobachter. Gott zeigt sich nicht mehr, er bleibt hinter dem Nebel unterschiedlicher menschlicher Gottesvorstellungen verborgen. Nicht umsonst betont Prof. Zimmer ganz besonders den verborgenen Gott, den Deus absconditus. Einen Deus revelatus, einen der sich zeigt, der auf uns zukommt, sich offenbart, gibt es nicht mehr. Jesus ist nicht der Handelnde. In Jesus hat nicht Gott gehandelt, sondern die Schreiber, die ihm die Geschichten untergeschoben haben. Jesus ist nicht Gottes Sohn, sondern lediglich ein gutes Vorbild. Das Evangelium besteht nicht darin, was für uns getan wurde, sondern was wir tun sollen. Und damit ist der Glaube zwar noch vorhanden, der Glaubensinhalt hat sich allerdings völlig geändert. Beim Glauben komme [F1] es nicht so sehr darauf an, dass ich glaube, sondern, was ich glaube. Armin Baum schreibt dazu: „Ob zwei Menschen den gleichen Glauben haben, lässt sich meines Erachtens nicht einfach daran ablesen, ob sie die gleichen Begriffe verwenden. Ein solches Urteil hängt davon ab, welche Inhalte sie mit den Begriffen meinen.“ Wenn also HK Theologen von Glauben sprechen, dann meinen sie einen völlig veränderten Glaubensinhalt. Wir sollten uns an der Stelle neu bewusst machen: Der christliche Glaube ist ein objektiver Glaube im Gegensatz zum durchschnittlichen philosophischen Glauben. Der christliche Glaube ist auf tatsächliche Heilsereignisse gegründet. Er ist auf die Heilsgeschichte gebaut, die im Paradies begann. Er ist auf einen Gegenstand bezogen, nämlich auf Jesus Christus. Im rettenden Glauben wird eine Beziehung zu diesem Jesus hergestellt, der am Kreuz hing und gesagt hat: „Es ist vollbracht.“ Er hat nicht gesagt: es ist gesagt, sondern es ist vollbracht. Es ist ein für alle Mal geschehen, das rettende Ereignis ist vollendet!
Im Gegensatz zu Prof. Zimmer, der von einem völlig anderen Geschichtsbegriff zu Zeiten des AT ausgeht, ist Gerhard Maier der Meinung, dass unser moderner Geschichtsbegriff im Altjudentum wurzelt. Er geht sogar so weit zu sagen, dass der moderne Mensch nur Geschichte treiben kann, weil er sie aus der Bibel gelernt hat. Er führt als Beispiel die Situation nach dem Durchzug durchs Schilfmeer und nach der Rettung vor den Ägyptern an: (2.Mos.14,31) „da fürchtete das Volk den HERRN, und sie glaubten an den HERRN und an seinen Knecht Mose“. Der Glaube, der hier entstehe, mache sich fest an der Tat des Herrn. Es müsse aber kein Wunder sein, woran der Glaube hänge und was Vertrauen schaffe. Es könne sich ebenso gut um ein Wort, etwa eine Verheißung, handeln, wie Gen 15,6 zeige: „Abraham glaubte dem HERRN und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ Gerhard Maier fügt weitere Belege dafür an, dass der Glaube der Menschen eng verbunden war mit der Verheißung, die entweder schon vorher durch ein Zeichen beglaubigt, oder deren Wahrheitsgehalt durch die Erfüllung bzw. durch die Realisierung selbst bestätigt wurde. Der Glaube ist so definiert, dass er das Bewusstsein für die geschichtliche Realisierung erweitert. Ein weiteres Indiz für die enge Verflechtung von Glauben und Geschichte sieht Gerhard Maier in dem hebräischen Wort dabar, das beides, Wort und Tat, in eins zusammenfasst. „Ja mehr noch“, sagt G. Maier, „das Wort selbst, das Gott sprach, schafft Geschichte: Es wird nicht wieder leer zu mit zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt (Jes. 55,11). Für Gerhard Maier ergibt sich daraus die Erziehung Israels zur Realität. Eine Erziehung, die nirgends eine echte Parallele habe. „Während die griechische Welt meist mit der Stimmigkeit des Gedankens, dem logischen System zufrieden war, suchte der Jude die veränderte Realität.“ Eine Beobachtung, die Paulus nicht besser formulieren hätte können, wenn er schreibt: „Die Juden fordern Zeichen und die Griechen suchen Weisheit.“Nochmal Gerhard Maier: „Die eigentliche Wurzel des Geschichtsbegriffes ist die Verheißung. Verheißung gibt dem anschließenden Ablauf der Ereignisse einen Zusammenhang, öffnet das Bewusstsein für den Fortgang und das Ziel des Geschehens und nötigt zur Beobachtung des Geschickes, das dieses Wort erfährt. So wird die Geschichte im wirklichen Sinn des Wortes durch die göttliche Offenbarung geboren. Maier prüft das Gesagte nun auch am NT, auch hier zeigt sich eine Fortsetzung des alttestamentlichen Geschichtsbegriffes. Später schreibt Gerhard Maier zusammenfassend: „Soviel ist jedenfalls deutlich geworden: „Glaube kann nur dort entstehen wo Gott zuvor gehandelt hat, wo Gott zuvor nicht gedacht, sondern gehandelt hat d.h.: er entsteht als biblischer Glaube nur im Rahmen der göttlichen Offenbarung, die sich in die Geschichte hinein ereignet hat. Wer also Geschichte und Glaube voneinander trennt, der widerspricht der Offenbarung. Und zugleich erkennen wir, dass wir keinen autonomen, sondern einen der Offenbarung selbst entnommenen Geschichtsbegriff mit ihr in Verbindung bringen müssen. Thurneysen nannte es eine Schwärmerei, von einer modernen Geschichtsauffassung auszugehen“.
Ich glaube besser und gründlicher kann man den Geschichtsbegriff im alten Judentum nicht definieren. Wie eng der Glaube mit den Geschichtswahrheiten verbunden ist, dürfte nun klar geworden sein. Zu behaupten, dass man in der Antike eine völlig andere Geschichtsauffassung wie heute hatte, mag vielleicht noch für die außerbiblische Welt stimmen (selbst das erscheint mir fraglich angesichts der oben erwähnten Bezüge), deckt sich jedoch keinesfalls mit dem Zeugnis der biblischen Offenbarung. Das Narrativ des modernen Geschichtsverständnisses, das wir nicht einfach auf die biblischen Texte übertragen dürfen, ist das eigentliche Mythos, nicht die Geschichten selbst. Ein weiteres Mal entpuppt sich die angebliche Wissenschaft als moderne Konstruktion, um das Credo der historisch-kritischen Theologie zu tragen. Und wiederrum erkennen wir, wie die Weichenstellung am Anfang des Denkens die Richtung vorgibt und nicht die Wegweiser der Richtung über die Weichenstellung entscheidet. Die Trennung von Geschichte und Wahrheit ist sicher der verheerendste Eingriff in den Vorgang der vertrauensvollen Kommunikation zwischen Gott und Mensch. Dass man es in der liberalen Theologie trotzdem meint tun zu können, spricht nach meiner Einschätzung nicht etwa für ein mangelndes Verständnis des Gesagten, sondern eher für eine Verdrängung des Zwiespalts oder der Widersprüchlichkeit, die aus einer Gefangenschaft im vermeintlich modernen Denken entspringt. Man kann nicht mehr zurück, weil man schon zu tief im Sumpf der Bibelkritik versunken ist und den Halt im Vertrauen auf die göttliche Offenbarung verloren hat. Wer Geschichte und Glauben trennt, ist wie einer, der in einem Akt der Verzweiflung die Früchte eines Baumes genießen will, dessen Wurzeln schon längst ausgetrocknet sind.
Nach Dr. Fabian Grassl (aus einem Youtube-Vortrag glaubendenken: Wahre Geschichte?- zur Schicksalsfrage der Theologie) ist „der Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit der Schrift der Top-Einwand von Religionskritikern des 20. Jahrhunderts gegen den Glauben. Das heißt: Viele Menschen wenden sich nicht wegen der unbeantworteten Frage, warum Gott das große Leid in dieser Welt zulasse oder mit dem Argument, dass die Wissenschaft Gott begraben habe, vom Glauben ab, sondern weil sie gelernt haben, dass die Bibel in vielen Teilen historisch unzuverlässig sei. Ist dies nicht ein erschreckender Befund, der uns zu denken geben sollte? Ist das nicht ein schwerwiegendes Argument gegen die scheinbar sturmfesten Thesen jener Theologen, die meinen, die theologischen Wahrheiten von der historischen Wirklichkeit trennen zu können? Wenn Prof. Andresas Lindemann behauptet, dass eine Preisgabe aller geschichtlichen Daten um Jesus seinem Glauben keinen Abbruch tun würde, dann kann er dies nur sagen, weil das, was Jesus für ihn getan hat, offensichtlich keine Rolle für ihn spielt. Das Evangelium besteht anscheinend in seinen Augen nicht darin, dass Jesus als Gottes Sohn auf diese Welt kam, um schließlich für seine Schuld zu streben, um ihn durch die Auferstehung die Perspektive auf ein neues, ewiges Leben zu geben. Wenn dies alles keine Rolle spielt, worauf beruht dann der Glaube? Ganz schnell landen wir wieder bei einem reduktiven sozialen Evangelium. Die gute Nachricht besteht lediglich darin, dass sie mir hilft, die verstandesmäßig erkannten und von Jesus propagierten zwischenmenschlichen Ziele schneller zu erreichen. Ob nun Jesus von einer Jungfrau geboren wurde, ob er tatsächlich Wunder getan hat, und ob er leiblich auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, das ist für die ethische Frage irrelevant. Jesus als Katalysator für Mitmenschlichkeit, die zwar ohne die christliche Tradition auch als erstrebenswert und erreichbar erscheint, aber mit ihr doch stärker motiviert ist. Dieses Resultat ist ganz offensichtlich vielen zu wenig. Konfuzius hat im 5. Jahrhundert vor Christus schon gesagt: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Das ist eine Weisheit, auf die ich auch ohne religiösen Überbau kommen kann. Die Frage nach dem Heil und dem persönlichen Beziehungsaspekt zu Jesus geht verloren, was dann viele zum Anlaß nehmen, Gemeinden und Kirchen zu verlassen, weil sie unter diesem Gesichtspunkt keinen Sinn mehr darin sehen, Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten zu feieren. Diese Feste zu feiern bedeutet dann, Feste zu feiern in Erinnerung an Legenden und Mythen.
Was ist nun der wahre Grund für die Skepsis an der Geschichtlichkeit der Bibel innerhalb der liberalen Theologie? Aufgrund aller vorausgegangener und nachfolgender Ausführungen lässt sich sagen, dass es nicht die wissenschaftliche Forschung oder die vielleicht kleinen Widersprüchlichkeiten in den Texten sind, die Theologen dazu veranlassen, sie als Legenden anzusehen. Wenn es in der Bibel keine Wunderberichte gäbe, dann hätten die alt-und neutestamentlichen Texte nicht mehr oder weniger Probleme wie andere antiken Texte auch. Unstimmigkeiten kann ich, wenn ich es darauf anlege, in jedem antiken Text finden, ohne dass damit die historische Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird.( siehe Kapitel: Irrtümer in der Bibel, Schlussabschnitt) Die wissenschaftliche Forschung hat in vielen Bereichen ursprünglich geglaubte Unwahrheiten widerlegt. Es sind die wunderkritischen Denkvoraussetzungen, die sich aufgrund ihres axiomatischen Charakters mit einer Mauer der Unangreifbarkeit umgeben haben. Es ist der Mythos, dass man echte Wissenschaft nur betreiben kann, wenn man ein übernatürliches Handeln Gottes ausschließt. Dazu Greg West, ein ehemaliger Agnostiker (einer, der glaubt, man könne über Gott oder die Natur unserer Existenz keine sicheren Erkenntnisse haben), der zum christlichen Glauben gefunden hat und inzwischen eine christliche Website betreibt unter dem Namen: The Poached Egg): „Wenn wir die Auferstehung von Jesus, seine Wunder und alle Behauptungen und Anspielungen auf seine Göttlichkeit wegließen, dann würde das Neue Testament einstimmig als die richtigste und vollständigste historische Quelle über das jüdische Leben während des ersten Jahrhunderts in Palästina angesehen werden. Aber es enthält eben die Auferstehung, Wunder und die Göttlichkeit von Jesus und daher wurden und werden immer noch unzählige Versuche unternommen, seine Zuverlässigkeit zu diskreditieren, wenn auch vergebens. Aber aufgrund der verfügbaren Indizien, sowohl der rein objektiv historischen als auch meiner persönlichen Erfahrung, bin ich komplett von seiner Wahrheit überzeugt.“ (aus kein Grund zur Skepsis von Stefan Gustavsson, S 171)
Die Wissenschaft hat uns ohne Zweifel einen großen technischen Fortschritt und einen enormen Wissenszuwachs über Zusammenhänge von Leben und Natur beschert und damit unsere Lebensbedingungen für immer nachhaltig revolutioniert. Den Fortschrittsglauben und den wissenschaftlichen Erfolgsgedanken, den wir im Bereich der Naturwissenschaften gewonnen haben, übertrug man auch in die Geschichtswissenschaft. Man erhoffte sich, durch historisch kritische Forschung auch mehr natürliche Erklärungen für scheinbar übernatürliche Phänomene zu finden und so mehr Licht in das Dunkel der vermeintlichen Probleme der Bibelauslegung zu bringen. Wie in der Naturwissenschaft ging man auch in der Geschichtswissenschaft von einem geschlossenen Ursache-Wirkungssystem aus. So wurde die Dekonstruktion der Historizität und die Herleitung der Berichte aus kulturellen Gegebenheiten und Geistes-Strömungen als wissenschaftlicher Fortschritt deklariert. Auch in der Geschichtswissenschaft fühlte man sich dem Credo- Forschen, als ob es Gott nicht gäbe- verpflichtet. Etsi deus non daretur. Einer der einflussreichsten Theologen des 20.Jahrhunderts, Rudolf Bultmann erklärt hierzu: „Die historische Methode schließt die Voraussetzung ein, dass die Geschichte eine Einheit ist im Sinne eines geschlossenen Wirkungszusammenhangs, in dem die einzelnen Ereignisse durch die Folge von Ursache und Wirkung verknüpft sind. … Diese Geschlossenheit bedeutet,dass der Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens nicht durch das Eingreifen übernatürlicher, jenseitiger Mächte zerrissen werden kann, dass es also kein Wunder in diesem Sinne gibt.“ Wir haben diese Methode der historisch kritischen Forschung ausführlich im Kapitel über „Historisch-kritische Theologie“ nach den Kriterien von Ernst Troeltsch besprochen.
Die Frage nach Wundern und die Frage nach der Historizität hängen also ganz eng zusammen. Viele Texte der Bibel können deshalb nicht historisch sein, weil sie übernatürliche Elemente enthalten. Das ist die ebenso wahre wie auch einfache Begründung für die Zweifel an der historischen Glaubwürdigkeit der Bibel. Diese Begründung birgt jedoch weitreichende logische Konsequenzen. Wenn der Glaube der Menschen in der Bibel, wie ich es ausführlich dargestellt habe auf geschichtlichen Ereignissen beruht, die vielfach mit dem wundersamen Eingreifen Gottes einhergingen und Wunder unmöglich sind, dann muß der biblische Glaube falsch sein. Er dient vielleicht noch einer gewissen positiven Lebenseinstellung, aber nur weil ich einer falschen Gottesvorstellung hinterherlaufe. In Wirklichkeit ist es nur eine Fiktion, eine positive Illusion. Konsequenterweise ist der Schritt zu einer noch radikaleren Einstellung nicht weit, die Robert Funk, der Gründer des Jesus-Seminars in den USA, vertritt: „Der Gott des metaphysischen Zeitalters ist tot. Es gibt keinen persönlichen Gott außerhalb des Menschen und der materiellen Welt…. Die Vorstellung, dass Gott sich in die Ordnung der Natur von Zeit zu Zeit einmischt, um zu helfen oder strafen, ist nicht länger glaubwürdig, auch wenn die meisten es noch glauben. Wunder sind eine Beleidigung von … Gottes Intergrität, ungeachtet dessen, wie wir ihn verstehen. Wunder… widersprechen der Bindung des physischen Universums an Regeln… Gott bricht keine Naturgesetze.“ Wohlgemerkt, hier spricht kein Atheist, sondern einer, der sich Christ nennt. Er beansprucht genauso wie alle anderen liberalen Theologen, den christlichen Glauben zu vertreten. Er glaubt sehr wohl an eine frohe Botschaft -wie diese Botschaft aussieht, kann ich nicht genau sagen- nicht jedoch an die zahlreichen in der Bibel geschilderten Wunderberichte oder an einen Gott, der in die Geschichte eingreift. Letztlich befindet er sich auf der gleichen theologischen Ebene wie Andreas Lindemann, den ich eingangs zitiert habe. Er drückt sich nur radikaler aus. Christlicher Glaube ist, folgt man der Logik dieser Theologen, tatsächlich völlig unabhängig von geschichtlichen Ereignissen, wie sie in Geburt, Leben, Sterben, Auferstehung sowie in der Himmelfahrt und an Pfingsten stattgefunden haben sollen.
Der Glaube der liberalen Theologie ist nicht nur ein wunderfreier Glaube, er ist auch ein geschichtsfreier Glaube. Das ist etwa so, wie wenn ich der Meinung wäre, ich könnte gute Medizin betreiben ohne Diagnose und Therapie, selbst wenn der Patient im Sterben liegt. Der christliche Glaube ist dabei aller wichtigen Kernbestandteile entledigt. Um wenigstens einen Schein von Frönmigkeit aufrechtzuerhalten, werden christliche Vokabeln weiterbenützt. Mit ausgesprochen kluger Rhetorik und wortreicher Bildersprache wird versucht, einen Flair von Religiosität und Spiritualität zu wahren. Dieses Bild von Jesus und Gott ist nicht nur meilenweit entfernt von dem Wesen der heiligen Schrift, es hat keinerlei Bezug mehr zur Wirklichkeit des Menschen. Menschen sehnen sich nach Hilfe, nach Trost, nach Vergebung und nach Gerechtigkeit. Alle diese Dinge werden gefördert, wenn ich weiß, dass Gott auf diese Welt kam, um für unsere Schuld zu bezahlen und wenn ich weiß, dass er auferstanden ist und lebt, und dass ich auch heute mit seiner Gegenwart und Hilfe rechnen kann. Wieviele Menschen sind in ihrem Vertauen auf Gottes Zusagen durch das Lesen und Glauben der Segnungen und Erfüllungen im Alten Testament gestärkt worden. Wieviele Menschen können mit schwerer Schuld bei sich und anderen Menschen leichter umgehen, weil sie wissen, dass Jesus dafür starb. Wieviele Menschen können Leid und das Sterben besser ertragen, weil sie wissen, dass Jesus tatsächlich auferstanden ist. Wenn das alles nicht war ist, wie kann ich dann sicher sein, dass der Glaube nicht eine einzige großangelegte Selbsttäuschung ist?
In anderen Kapiteln habe ich immer wiede auf die Probleme des gschlossenen Ursache-Wirkungssystems hingewiesen. Was ich hier im Zusammenhang mit der Geschichtlichkeit in der Bibel und dem methodischen Athesismus nochmal deutlich machen möchte, ist folgendes: Auch die Denkvoraussetzung des geschlossenen Weltbildes gilt es kritisch zu prüfen. Wer sagt uns, dass das Weltbild wirklich komplett geschlossen ist? Es ist nur ein aus dem Erfolg der Naturwissenschaft abgeleiteter Rückschluß. Die Antwort auf diese Frage ist keineswegs eine naturwissenschaftliche , sondern vielmehr eine philosophische Frage. Ernst Troeltsch bezeichnet das geschlossene Weltbild als Axiom, das keine weitere Herleitung mehr braucht. Aber stimmt das wirklich? Auch wenn es uns in vielen naturwissenschaftlichen Bereichen wertvolle Erklärungen liefert, heißt es doch nicht automatisch, dass es für alles und jederzeit gilt. Aus Sicht des biblischen Glaubens und der Zuverlässigkeit der geschichtlichen Ereignisse der Bibel ist das Universum ein offenes System von Ursache und Wirkung, in das der Schöpfer dieses Systems jederzeit eingreifen und Wunder tun kann. An Wunder zu glauben bedeutet auch nicht, das in vielen Bereichen funktionierende System von Ursache und Wirkung abzulehnen. Es bedeutet vielmehr, darauf aufzubauen und zu sagen, es gibt mehr als die Natur. Gleichzeitig bezieht es die Möglichkeit mit ein, dass wenn es diesen Gott wirklich gibt, er auch Spuren hinterlassen hat, und dass es Phänomene sowohl in der Natur als auch in der Geschichte geben kann, für die es keine natürliche Erklärung gibt und womöglich nie geben wird. Wenn ich schon die Erfahrung in der Naturwissenschaft zur Grundlage für mein philosophisches Denken machen möchte, dann muß ich gerade aufgrund der modernen Naturwissenschaft (genetischer Code, Feinabstimmung des Universums, Relativitätstheorie, Quantenphysik und Hirnforschung sowie moderne Genetik und Zweifel am Neodarwinismus) das geschlossene Weltbild aufgeben.